Die meistgelesene Boulevardzeitung in Großbritannien rief am Dienstag, anderthalb Wochen vor dem Referendum über die Mitgliedschaft in der EU, ihre Leser zum Brexit auf. Damit scheint „The Sun“ auf der richtigen Seite: Gleich vier neue Umfragen sehen die Austrittsbefürworter in Führung und das nicht mehr nur marginal, sondern mit bis zu sieben Punkten.
Mit dem Glauben an Großbritannien raus aus der EU – „BeLEAVE in Britain“, titelte die Boulevardzeitung „The Sun“ in den Landesfarben und forderte mit der Wortschöpfung die Leser dazu auf, beim Referendum über die Mitgliedschaft in der EU am 23. Juni für „Leave“ (zu Deutsch verlassen) zu stimmen. Damit gab das meistgelesene Blatt im Königreich den Austrittsbefürwortern neuen Auftrieb. Dabei hatten das zuvor schon die aktuellen Umfrageergebnisse übernommen.
Es vergeht zwar derzeit kaum ein Tag, in dem nicht eine neue Meinungserhebung die Runde macht. In den vergangenen Monaten waren meistens die Pro-Europäer vorne. Doch nun führen die sogenannten Brexiteers gleich in vier Umfragen. Laut des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 46 Prozent der Befragten für den Brexit aus. 39 Prozent wollen in der EU bleiben.
In einer anderen Umfrage, die sowohl telefonisch als auch online durchgeführt wurde, ermittelte das Institut ICM einen Sechs-Punkte-Vorsprung für die Austrittsbefürworter. Demnach wollen 53 Prozent der Befragten raus, 47 Prozent sprachen sich für den Status Quo aus.
Eine Erhebung der Zeitung „Daily Telegraph“ sah die „Leave“-Kampagne mit einem Punkt Vorsprung. Dem Institut TNS zufolge sind 40 Prozent der Befragten fürs Bleiben, 47 Prozent fürs Gehen.
Die Stimmung kippt demnach einheitlich zugunsten der Austrittsbefürworter – vor allem dank des Themas Immigration. Denn, so argumentieren die Brexiteers, nur ein Austritt könne die Netto-Einwanderung von zuletzt jährlich 330.000 Menschen eindämmen. Anfang der Woche wurde ein Report veröffentlicht, nachdem die Bevölkerungszahl bis 2035 die Marke von 76 Millionen überschreiten könnte, hauptsächlich aufgrund von Migranten aus EU-Mitgliedstaaten.
Sogar bei den Buchmachern schmilzt die Aussicht auf schnelles Geld, sollte es zum Austritt Großbritanniens aus der EU kommen. In der Regel sind sie die zuverlässigsten Zukunfts-Vorhersager auf der Insel. Die Quoten für einen Brexit lagen vor einigen Tagen noch bei etwa vier zu eins, jene für einen Verbleib in der EU bei eins zu sechs. Das hieß: Die Wettbüros gingen davon aus, dass das Königreich sich am Ende fürs Bleiben entscheiden würde. Zwar rechnen die Buchmacher noch immer mit einem Verbleib, doch zunehmend setzen Briten auf den Brexit. Laut des Wettanbieters Ladbrokes stand vor wenigen Wochen die Chance auf einen Sieg der Leave-Seite bei 18 Prozent, heute liegt sie bei 43 Prozent.
„reicher, sicherer und frei“
„The Sun“ befand in dem Leitartikel auf der Titelseite, die Briten sollten sich „vom diktatorischen Brüssel befreien“, das „gierig, verschwenderisch und schikanierend“ sei. In der EU zu bleiben wäre „schlechter hinsichtlich der Einwanderung, schlechter für Jobs, schlechter für Gehälter und schlechter für unsere Lebensart“. Nach einem Brexit könnte das Königreich „reicher, sicherer und frei“ dafür sein, das eigenes Schicksal zu schmieden, wohingegen es als Mitglied „verschlungen würde von einem schonungslos expandierenden, von Deutschland dominierten Länderstaat“.
Dass die konservative und europakritische „Sun“ für die Brexit-Seite eintritt, kommt kaum überraschend. Bereits seit Wochen wettert sie gegen die EU, einmal war sie sogar vom Presserat gerügt worden, nachdem sie auf der Titelseite meinte: „Queen unterstützt Brexit“. Dabei verhält sich Königin Elizabeth II. bei politischen Angelegenheiten stets neutral.
Häufig zieht das Blatt zudem die anti-deutsche Karte. So zeigte man erst kürzlich Kanzlerin Angela Merkel, die eine Marionette des britischen Premiers David Cameron in den Händen hielt. Dem Blatt zufolge habe die Kanzlerin den Premier gezwungen, die zentrale Forderung seiner Verhandlungen mit Brüssel aufzugeben: eine generelle „Notbremse“ gegen den Zuzug von Einwanderern aus anderen Mitgliedstaaten.