Debatte um Schuluniformen Einheitliche Kleidung an Hamburger Schule

In Hamburg macht eine katholische Schule vor, was in anderen Bundesländern wie Bayern abgelehnt wird - über das Pro und Kontra von Schuluniformen.
25.03.2018, 21:29 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Einheitliche Kleidung an Hamburger Schule
Von Melanie Reinsch

Die Sankt-Paulus-Schule in Hamburg-Billstedt ist nur auf den ersten Blick eine ganz normale Schule. Denn hier hatte der Schulleiter vor Jahren eine Idee, die wohl für die allermeisten Eltern, Lehrer und Schüler in Deutschland verstörend erscheinen mag, die aber in anderen Ländern zur Normalität gehört: Rainer Busenbender führte an der katholischen Schule einheitliche Kleidung ein.

Gut zehn Jahre ist das nun her. Auch wenn die Uniform an der Schule fester Bestandteil ist und nicht mehr die Gemüter erhitzt – alle paar Jahre wird das Konzept erneut auf den Prüfstein gelegt. Ganz demokratisch. „Die Zustimmung ist sowohl bei Eltern, Lehrern und Schülern groß. Allerdings haben wir festgestellt, dass die älteren Kinder die Schulkleidung ablehnen. Wir wollen die Kinder nicht über den Tisch ziehen. Daher ist Schulkleidung nur bis zur vierten Klasse verpflichtend“, sagt Busenbender.

Königsblaue oder hellblaue Poloshirts mit eingesticktem Schullogo, Kapuzenpullover, Sweatshirt-Jacken – die Schulkleidung sieht nicht so aus, wie man es vielleicht aus Großbritannien gewöhnt ist, wo viele Schülerinnen biedere Faltenröcke und Jungs mausgraue Jacketts mit Krawatte tragen müssen. Die Kleidung, die an der Billstedter Schule eingeführt wurde, sieht sportlich und bequem aus.

Und: Für Hosen und Schuhe gibt es keine Auflagen. Doch warum möchte man Kinder zwingen, bestimmte Kleidung zu tragen? Ihnen die Möglichkeit nehmen, sich mit Kleidung individuell auszudrücken? „Die Schulkleidung bringt viele positive Effekte mit sich. Sie stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Kinder schlüpfen mit der Kleidung in ihre Rolle als Schüler der Sankt-Paulus-Schule“, sagt der Billstedter Schuleiter.

"Weniger Mobbing und Konkurrenzdruck"

Billstedt ist ein Stadtteil im Osten Hamburgs. Er gilt als sozialer Brennpunkt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, jeder Fünfte ist auf Hartz IV angewiesen, viele Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Während im Mutterland der Schuluniform, dem Vereinigten Königreich, die Einheitskleidung eine Abgrenzung zu weniger elitären Schulen darstellen sollte, soll die Uniform in Billstedt auch den Druck von den ärmeren Familien nehmen. „Bei uns kommen rund 80 Prozent der Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Wir wollten mit der Kleidung dem Markenwahn entgegenwirken. Es ist wichtiger, wer der Mensch ist und nicht, was er trägt“, findet Busenbender. „Bei uns gibt es dadurch weniger Mobbing und Konkurrenzdruck.“

Aber auch die Schulkleidung gibt es nicht kostenfrei. Ein T-Shirt kostet elf Euro. Eine Jacke 12,50 Euro. Bis man ein ausreichendes Erst-Sortiment zusammen hat, müssen die Eltern rund 70 Euro auf den Tisch legen. Und das innerhalb der vier Jahre gegebenenfalls mehrmals – schließlich wachsen die Kinder in dem Alter schnell. „Die Kosten waren am Anfang ein großer Konflikt bei der Eltern. Aber es hat sich gezeigt, dass sie durch die Uniform letztlich Geld sparen, da die Eltern weniger Kleidung für die Kinder kaufen müssen“, sagt der Schulleiter.

Schuluniformen dürfen in Deutschland nicht einfach von der Schulleitung verordnet werden – das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Da die Billstedter Schule keine staatliche Schule ist, sondern eine in freier Trägerschaft, konnte der Schulleiter seine Idee nach der positiven Abstimmung umsetzen. In Deutschland gibt es wenige Schulen, die ein ähnliches Konzept probieren. Immer wieder gab es Modellversuche, durchsetzen konnte sich Schulkleidung nicht.

Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, kann nicht verstehen, warum man sich mit einheitlicher Kleidung an Schulen so schwertut. „Teure Turnschuhe, Markenjeans oder bestimmte T-Shirts führen zur Ausgrenzung von Jugendlichen, die sich diese Kleidung nicht leisten können. Und das nur, weil ihre Eltern finanziell nicht mithalten können“, sagt die Soziologin. Das fördere die Akzeptanz untereinander, stärke das Selbstbewusstsein und reduziere Stress, weil es Druck von den Kindern nimmt.

Es sei unverständlich, dass man dieses „einfache und kostengünstige Modell der Schuluniform nicht auch hierzulande“ einführe. Zudem zeige auch die Forschung, dass Äußerlichkeiten unter den Jugendlichen eine immer größere Bedeutung bekämen. Dabei ist sich Allmendinger durchaus bewusst, „dass Uniformen in Deutschland durch unsere Geschichte befremdlich“ wirken können. „Für mich überwiegen aber ganz klar die Vorteile einer Schuluniform“, so die Soziologin.

Mobbing auch bei anderen Markengegenständen

Die Bertelsmann-Stiftung kam jüngst zu dem Ergebnis, dass fast jedes fünfte Kind in Deutschland dauerhaft in Armut lebt. Materielle Nachteile sind nur eine Folge, vor allem werden diese Kinder ausgeschlossen – und diese soziale Ausgrenzung fängt auf dem Schulhof an.

Heinz-Peter Meidinger, Lehrer am Robert-Koch-Gymnasium im bayerischen Deggendorf und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, bezweifelt die Vorteile einheitlicher Schulkleidung. „Im Kampf gegen Markenfetischismus ist einheitliche Schulkleidung wenig hilfreich, weil sich die ,feinen Unterschiede‘ dann auf andere Gegenstände verschieben, zum Beispiel Smartphones, Fahrräder, Schuhe oder Uhren“, sagt Meidinger.

Zudem gebe es kaum aussagekräftige Studien, die belegten, dass es in den Schulen tatsächlich durch das Tragen von Schuluniformen einen besseren Zusammenhalt gebe. An seiner Schule könne man T-Shirts mit Schullogo kaufen. „Ich freue mich, wenn ich Schüler im Stadtbild von Deggendorf mit unserem Schullogo sehe, ich freue mich aber genauso, wenn ich als Lehrkraft vor einer bunten Klasse stehe, bei der sich in der unterschiedlichen Kleidung auch die eigene Individualität der Kinder und Jugendlichen ausdrückt“, sagt er.

Und wie bewertet der Billstedter Schulleiter das Projekt nach einem Jahrzehnt? Ist es gelungen? „Teils, teils“, sagt Busenbender. Der Aufwand sei groß, „manchmal gleicht das Sekretariat einer Umkleidekabine“, sagt er. Nicht jeder Schüler hält sich an die verpflichtende Kleidung, manchmal muss man ermahnen. In etwa zwei Jahren werde „man wieder die Gretchenfrage“ stellen müssen und abstimmen, ob die Kinder weiterhin die Schuluniformen tragen sollen.

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