Vielleicht war diese erste Runde der Kommunalwahlen am Sonntag in Frankreich nur eine Art Testlauf. Möglicherweise muss sie irgendwann in ein paar Wochen oder Monaten, wenn die Coronavirus-Krise das Land nicht mehr so stark im Griff hat, wiederholt werden. Über der zweiten Runde, die eigentlich am nächsten Sonntag stattfinden soll, schweben viele Fragezeichen angesichts der Ausbreitung des Virus, gegen die fast täglich schärfere Maßnahmen verkündet werden, während die Fälle der Infizierten und Toten weiterhin zunehmen.
Die Regierung hat Probleme, ihre Vorgaben an die Franzosen zu rechtfertigen, nach denen diese einerseits nach Möglichkeit zu Hause bleiben sollen, andererseits aber wählen gehen sollten. Laut Berechnungen sind 54,5 Prozent der Bürger der Wahl ferngeblieben – ein Rekordtief. Die meisten Oppositionspolitiker rufen zur Verschiebung der zweiten Runde auf. Verfassungsrechtlern zufolge würde dies aber auch den ersten Durchgang hinfällig werden lassen. Im Amt bestätigt blieben wohl nur jene Bürgermeister, die in der ersten Runde bereits die absolute Mehrheit geholt haben. Ein Szenario, auf das manche Kandidaten hoffen und das andere fürchten.
„Es kommt nicht in Frage, dass die erste Runde ungültig ist", empörte sich Jean-Louis Missika, Wahlkampfleiter der amtierenden Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Mit 29,3 Prozent liegt die Sozialistin überraschend klar vor ihren Haupt-Herausforderinnen, der konservativen Ex-Justizministerin Rachida Dati mit 22,7 Prozent und der Kandidatin der Regierungspartei La République en marche (LREM), Ex-Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, die nur 17,3 Prozent der Stimmen erreichte.
Volksparteien konnten von hoher lokaler Verankerung profitieren
Wie von den Meinungsforschern vorhergesagt, verfügen die Amtsinhaber über einen Bonus, den sie oft für sich nutzen konnten. Das ist der Fall in Lille, wo die Sozialistin Martine Aubry an der Spitze liegt, oder in Nizza, wo der Republikaner Christian Estrosi das beste Ergebnis erzielte. Die Volksparteien, die bei den Präsidentschafts-, Parlaments- und Europawahlen massive Einbußen erlitten, konnten insgesamt von ihrer hohen lokalen Verankerung profitieren.
Die Präsidentenpartei LREM, deren Vorgänger-Bewegung erst 2016 von Emmanuel Macron gegründet wurde, erlitt hingegen fast nur Niederlagen. Dass sie selbst kaum Rathäuser erobern und verhältnismäßig wenige Sitze in den Stadt- und Gemeinderäten gewinnen dürfte, stand schon im Vorfeld fest. Doch vielerorts blieb die Partei hinter den ohnehin geringen Erwartungen zurück. In Le Havre war Premierminister Édouard Philippe, der seinen dortigen Bürgermeister-Posten derzeit ruhen lässt, wieder angetreten. Er gehörte früher den konservativen Republikanern an und ist heute parteilos. Doch mit 43,6 Prozent lag er deutlich unter seinem Ergebnis von 2014. Philippe wird für die Regierungspolitik und die rigorose Durchsetzung der umstrittenen Rentenreform verantwortlich gemacht.
Auch in Lyon erlebte der langjährige Bürgermeister Gérard Collomb, der zu Macrons ersten Unterstützern gehörte und zeitweise Innenminister war, eine herbe Niederlage. Nach der ersten Runde liegt der frühere Sozialist, der für LREM antrat, deutlich hinter der Partei Europa-Ökologie - Die Grünen (ELLV), die stark im Vormarsch ist. Die Nase vorne haben sie in Grenoble, wo der amtierende grüne Bürgermeister Éric Piolle beste Chancen auf eine Wiederwahl hat, in Straßburg und in Besançon. An zweiter Stelle liegen sie in Toulouse und Bordeaux.
Der rechtsnationale Rassemblement National wiederum konnte sich in den meisten der Rathäuser, die er 2014 eroberte hatte, behaupten. In einigen Bastionen wie dem nordfranzösischen Hénin-Beaumont oder Fréjus an der Côte d'Azur gelang dies sogar bereits in der ersten Runde. Darüber hinaus gewann der RN aber wenig hinzu. Allerdings befindet sich Louis Aliot in der 120.000-Einwohner-Stadt Perpignan mit 35,6 Prozent der Stimmen in einer guten Ausgangslage. Er war ohne offizielles Partei-Etikett angetreten war. Aliot könnte im zweiten Durchgang gewählt werden – von dem heute keiner weiß, wann er stattfindet.
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