Für Bremen geht es bei der Rüstungsmesse darum, sich als bedeutender Industriestandort mit maritimer Kompetenz zu bekennen – und nicht als Wolkenkuckucksheim, schreibt Politik-Chef Joerg Helge Wagner.
Schlimm! Eine Rüstungsmesse in Bremen! Da müssten doch alle Regenbogen-Fahnen auf halbmast wehen in jener Stadt, deren Universität sich eine Zivilklausel verordnet hat und für deren (evangelische) Theologen Bundeswehrangehörige auf Kirchentagen unerwünscht sind.
Wo man erbittert debattiert, ob ein heimischer Satelliten-Produzent einen Lehrstuhl stiften darf oder die Bundeswehr einen IT-Studiengang für Frauen einrichten kann. Wo man einst mit linksradikalem Krawall ein öffentliches Gelöbnis von Rekruten gesprengt hat. Wo der Bürgermeister seine Doktorarbeit über Konversion – also die Umwandlung von militärischen in zivile Strukturen – geschrieben hat. Aber dazu später mehr.
Politisch tonangebend
Denn das oben beschriebene Milieu ist nur ein Teil der Bremer Realität – allerdings zu lange der politisch tonangebende. Doch Realos und Regierende aus dem rot-grünen Lager haben längst begriffen, dass es ohne die militärrelevanten Unternehmen in Bremen weit weniger zu verteilen gäbe.
Schon vor sieben Jahren, kurz nach seinem Amtsantritt, nannte Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) gegenüber dieser Zeitung ausdrücklich Atlas Elektronik, wo 1400 Menschen in High-Tech-Berufen arbeiten. „Ich bin stolz darauf, dass wir diese Jobs am Standort Bremen haben“, beteuerte er und beklagte eine „Kultur des Verschämtseins, weil das ja auch etwas mit Militär zu tun hat“.
Nun, das Verschämtsein ist offenbar zur absoluten Mindermeinung geworden, beschränkt auf ein paar Dutzend Veteranen der Friedensbewegung und den örtlichen öffentlich-rechtlichen Sender. Bei der übergroßen Mehrheit hat sich wohl die Einsicht durchgesetzt, dass in Zeiten von asymmetrischen Bedrohungen und Cyber-Kriegführung die scharfe Trennung zwischen zivil und militärisch gar nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.
Umgekehrt oder wenigstens relativiert
Der alte Spruch, dass der Krieg der „Vater vieler Dinge“, also auch eine Art Innovationstreiber sei, ist überholt. Man kann auch sagen: umgekehrt oder wenigstens relativiert worden. Denn heute kann im Prinzip jedes für zivile Märkte entwickelte Produkt auch militärisch verwendet werden: Kommunikationstechnik, Messgeräte, Fertignahrung, medizinische Ausrüstung, Fahrzeuge aller Art, Generatoren, Wasseraufbereitung, Kunststoffe und Textilien.
Oder Container: Der Bremer Hersteller CHS etwa entwickelte auch mobile Tankstellen für Militäreinsätze. CHS ist auf der aktuellen Messe nicht vertreten, denn auf der geht es um Technologie zur Verteidigung unter Wasser: Abwehr von Torpedos und Minen, eindringenden U-Booten usw.
Also eindeutig um Kriegführung und damit um Zerstörung und Vernichtung? Ganz so einfach ist es nicht, denn der Schutz von Häfen und Schiffen ist ja erst einmal kein destruktiver Akt. Und was die militärische Nutzung von Zivilgütern betrifft, gilt zum Teil auch umgekehrt: Atlas Elektronik etwa bietet ein kleines unbemanntes und unbewaffnetes U-Boot an, das System SeaCat.
Sielings Doktorarbeit
Der Hersteller spricht vom „Schweizer Armeemesser für Unterwassereinsätze“, und das ist nicht einmal geprahlt: Man kann damit die Fundamente von Offshore-Anlagen untersuchen, geologische oder archäologische Forschung betreiben, Pipelines inspizieren, Wasserqualität messen – oder eben auch militärische Aufklärung betreiben.
Das ist für den ersten Teil erstaunlich nahe an dem, was Bremens Bürgermeister Carsten Sieling 1999 in seiner Doktorarbeit über „Regionale Strukturpolitik und Konversion“ gefordert hat: „Es muss in den Unternehmen der Aufbau und die nachhaltige Verankerung neuer Strukturen und Arbeitsabläufe befördert werden. Hierfür ist eine Grundvoraussetzung, statt einer Produktförderung eine Geschäftsfeldförderung zu betreiben.“
Bedeutender Industriestandort
Nun haben sich die auf Rüstung spezialisierten Unternehmen zwar neue Geschäftsfelder erschlossen, aber eben auch ihre militärische Kernkompetenz bewahrt. Wer einerseits anerkennt, dass die Welt nicht friedlicher geworden ist und andererseits weniger Abhängigkeit von den USA fordert, kann daran eigentlich nichts Schlimmes finden.
Für Bremen geht es aber auch darum, sich als bedeutender Industriestandort mit maritimer Kompetenz zu bekennen – und nicht als Wolkenkuckucksheim, dass sein Bruttosozialprodukt nur aus Tourismus, schönen Künsten und Selbstverwaltung generiert. Das feinsinnig mathematische Motto der bekrittelten Rüstungsmesse UDT lässt sich jedenfalls problemlos ins Bremer Zivilleben übertragen: die Konstanten optimieren, indem man die Variablen maximiert. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de