Bremen. Irgendwo zwischen brennenden Autos und dem Hamburger Händegeschüttel der Mächtigen dieser Welt muss er in Vergessenheit geraten sein: der Gipfel vor dem Gipfel. Dabei hatte er doch stattgefunden, in Berlin, einige Wochen vor dem Treffen der G 20. Afrika-Gipfel hatte man die Konferenz einfachheitshalber genannt. Die Bundesregierung hatte geladen, und sie hatte Großes vor. Von einem Marshall-Plan, einem „Compact für Afrika“ war die Rede. Das Angebot an die afrikanischen Regierungen in Kurzform: Bekämpft ihr die Korruption und schafft ein gutes Investitionsklima, dann treiben wir privates Kapital für Infrastrukturprojekte auf.
Der Gipfel vor dem Gipfel sollte Zeichen und Versprechen zugleich sein: Unter der deutschen Präsidentschaft steht Afrika ganz oben auf der Agenda, wenn die G 20 in Hamburg zusammenkommen. Das war die Kernbotschaft der Bundesregierung. Als Abschied von der „klassischen Entwicklungspolitik“ wollte man die Afrika-Konferenz aufseiten der Bundesregierung verstanden wissen. Als „Investition in eine gemeinsame Zukunft“.
In Hamburg hatten Klimawandel und Freihandel Afrika dann schnell von der Tagesordnung des G 20-Gipfels verdrängt. Geblieben sind ein Absatz mit Absichtsbekundungen und zwei Sätze zum neuen Afrika-Abkommen im Abschlussbericht. Zu wenig, meint Joy Alemazung. Er ist Politikwissenschaftlicher und Projektleiter der Bildungsprogramme von „Engagement Global“. Als einer von drei Referenten diskutierte der Deutsch-Nigerianer am Mittwoch im Übersee-Museum über Nigerias wirtschaftliche Zukunft. „Noch immer gibt es keine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Afrika und den Industrienationen – und der G 20-Gipfel ist ein Ausdruck dessen“, sagt Alemazung. „Da werden Entscheidungen über Afrika gefällt, nicht mit Afrika.“
Auch dem neuen „Compact für Afrika“ steht Alemazung skeptisch gegenüber. Das Abkommen klinge wie so viele entwicklungspolitische Ideen der jüngeren Vergangenheit, die verpufft seien. Inzwischen habe beinahe jede Regierung der G 20-Staaten ihr eigenes Afrika-Programm aufgesetzt, sagt Alemazung: „Da gehen aus so vielen Ländern jedes Jahr Millionen Euro nach Afrika und große Kampagnen werden inszeniert. Oft habe ich aber das Gefühl: Da wird etwas für das eigene Gutmenschen-Bild getan, aber ernsthaft etwas ändern will man nicht.“ Oft scheiterten die Pläne allein schon deshalb, weil es an Wissen über die lokalen Lebensrealitäten fehle. Auch die Gelder des neuen Investitionsabkommens dürften da stranden, wo es kaum ausgebildete Fachkräfte und keine Kunden gibt. Den Nutzen vom Abkommen hätten wenn überhaupt westliche Unternehmen und nicht die Menschen vor Ort, befürchtet Alemazung. Grundprobleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit würden auch die Investitionsanreize der Industrienationen nicht lösen. Zumal die neuen Millionen ohnehin nur an Nationen wie Tunesien, Marokko oder Ghana gingen, die schon weiter in ihrer Entwicklung seien als andere.
„In Nigeria haben sich über Jahrzehnte hinweg grundsätzliche Bedenken zu solchen Gipfeln entwickelt“, sagt James Olusanmi. „Nigeria importiert 90 Prozent der Nahrungsmittel, das bedeutet Freihandel für uns: Wir spielen nach ihren Regeln.“ Olusanmi engagiert sich im Verein „Human and Environment“, er ist Ingenieur und hat lange auch in Afrika gearbeitet. Er kann viele Geschichten von enttäuschten Hoffnungen und verpassten Chancen in der Entwicklungspolitik erzählen. Eine von ihnen etwa handelt von einem großen deutschen Autobauer, der sich Ende der 1980er Jahre aufgemacht hatte, um in Nigeria zu produzieren. Ein Beitrag zur Entwicklungshilfe, wie man das damals noch nannte, sollte es werden. Es wurde ein Fiasko. Alle Teile, selbst die Schrauben, wurden importiert. Die Nigerianer sollten die zugelieferten Teile bloß zusammennageln. Ausbilden wollte der Konzern vor Ort nicht. Am Ende profitierte niemand. „In einem Land, in dem es keine Zulieferanten-Industrie und keine ausgebildeten Fachleute gibt, wollte man Autos bauen – natürlich musste das scheitern“, sagt Olusanmi. Für ihn ist das Beispiel ein Sinnbild. Noch immer dominiere eine ähnlich kurzsichtige Perspektive die Entwicklungspolitik, glaubt er.
Für Joy Alemazung liegt das auch am verzerrten Bild, das viele, selbst die Afrikaner von ihrem Kontinent hätten. Terror, Korruption, Hunger. „Was wir über Nigeria lesen, ist, was wir von Afrika erwarten“, sagt Alemazung. „Wir müssen anfangen, die ganze Geschichte zu erzählen.“ In Afrika gebe es genug Erfolgsgeschichten. Nur hätte nie jemand gelernt, diese zu erzählen. „Wir brauchen afrikanische Heldengeschichten und wir müssen uns trauen, sie zu erzählen und zu verinnerlichen“, sagt Alemazung. „Ansonsten werden die Industrienationen Afrika wohl nie auf Augenhöhe begegnen“.