Nach Urteil gegen Lina E. Proteste im Steintor: Bremer Polizei berichtet von 70 Festnahmen

Seit September 2021 hat das Oberlandesgericht Dresden gegen mutmaßliche Linksextremisten verhandelt. Nun folgte das Urteil – und damit auch erwartete Protestaktionen der linken Szene.
01.06.2023, 06:11 Uhr
Lesedauer: 5 Min
Zur Merkliste
Von dpa/wk

Nach dem Urteilsspruch gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. vor dem Oberlandesgericht in Dresden sind am Mittwochabend auch in Bremen Anhänger der linken Szene zu einer unangemeldeten Versammlung zusammengekommen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort, um Ausschreitungen zu verhindern. Sie hatte bereits im Vorfeld damit gerechnet, dass Linksextremisten durch die Stadt ziehen könnten und entsprechend die Präsenz erhöht.

Laut dem Polizeibericht versammelten sich am Abend rund 350 größtenteils vermummte Menschen. Sie bewarfen Einsatzkräfte mit Flaschen, Steinen und Böllern. Die Polizei Bremen nahm etwa 70 Verdächtige vorläufig fest.

Gegen 20 Uhr hatten sich schwarz gekleidete und zum großen Teil vermummte Personen am Steintor versammelt. Die Polizei sprach am Abend davon, dass die Demonstranten "relativ schnell und unvermittelt" auf Polizisten losgegangen seien. Die Demonstranten zündeten Pyrotechnik und warfen Flaschen und Steine auf Einsatzfahrzeuge. Aus den Gruppen heraus wurden Parolen wie "ganz Deutschland hasst die Polizei" gerufen. Dazu wurde ein Polizeiwagen beschädigt und Einsatzkräfte persönlich beleidigt. Bei den Protesten sind acht Einsatzkräfte der Polizei durch Tritte verletzt worden. Sie konnten ihren Dienst aber fortsetzen, wie die Polizei am Donnerstag mitteilte. Es seien am Mittwochabend zudem durch Tritte sowie Flaschenwürfe Schäden an Einsatzfahrzeugen entstanden. Die Höhe des Schadens sei noch nicht bekannt.

Wegen des Aufzugs wurde der Bereich zwischenzeitlich für den Verkehr und den ÖPNV gesperrt. Die Polizei war mit vielen Kräften vor Ort und hinderte die Demonstranten daran, in Richtung Sielwall zu ziehen. Die schwarz gekleideten Personen wurden immer wieder dazu aufgerufen, die umliegenden Straßen zu verlassen. Die Polizei kündigte an, ansonsten unmittelbaren Zwang anzuwenden, wenn die Straße in Richtung Ziegenmarkt nicht geräumt werde. Auf Höhe der alten Sparkasse ließen die Beamten die Menschen am Abend nicht mehr in Richtung Ziegenmarkt durch – auch keine Anwohner.

Einsatzkräfte auf Großeinsatz eingestellt

Die Einsatzkräfte hatten sich bereits im Vorfeld auf einen Großeinsatz eingestellt. So standen etwa zwischen Fehrfeld und Sielwall 20 Einsatzfahrzeuge der Polizei. Auch ein Wasserwerfer sowie ein Räumfahrzeug waren Hinterm Sielwall positioniert. Diese kamen aber zunächst nicht zum Einsatz. Um 22 Uhr sprach die Polizeisprecherin auf Nachfrage des WESER-KURIER von einer "statischen Lage". Es seien weiterhin zahlreiche Personen vor Ort, die Transparente hochhielten und Parolen skandierten. Insgesamt war nun aber schon deutlich weniger los als einige Stunden zuvor. Nach Angaben der Polizeisprecherin seien Personen in Gewahrsam genommen worden. Die Einsatzkräfte blieben bis in die Nacht vor Ort und stellten sich auch für die kommenden Tage auf weitere Aktionen ein.

Das Oberlandesgericht Dresden hatte die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. zuvor wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Für ihre drei Mitangeklagten verhängte die Staatsschutzkammer Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten und drei Jahren und drei Monaten. Unterstützer und Sympathisanten protestierten im Saal lautstark gegen das Urteil. Nach Verkündung des Strafmaßes unterbrach der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats die Verhandlung, weil Zuschauer „Faschofreunde“ und „Scheiß Klassenjustiz“ zur Richterbank skandierten.

Nach Urteil gegen Lina E.: Demonstrationen in mehreren Städten erwartet

In der linken Szene wurde zu Demonstrationen für Lina E. und ihre Mitstreiter aufgerufen – für den Tag der Urteilsverkündung und für den kommenden Sonnabend. Am Mittwoch waren Kundgebungen in Dresden und Leipzig geplant. Auch die Bremer Polizei hatte verstärkte Präsenz angekündigt. Gruppierungen hatten für den Fall einer Verurteilung Straftaten, wie Sachbeschädigungen im größeren Ausmaß und Protestaktionen angekündigt. Für Sonnabend wurde bundesweit zu Protesten aufgerufen. Sicherheitsbehörden befürchten Ausschreitungen und wollen mit einem Großaufgebot der Polizei gerüstet sein.

Lesen Sie auch

Nach Überzeugung der Staatsschutzkammer sind die 28 Jahre alte Studentin und ein gleichaltriger Mitangeklagter der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig; ein 37-Jähriger und ein weiterer 28-Jähriger wegen deren Unterstützung. E. und zwei von ihnen wurden zudem der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt, ein vierter Angeklagter der Beihilfe dazu. Die Staatsschutzkammer blieb damit unter den Strafanträgen der Bundesanwaltschaft, die acht Jahre Freiheitsstrafe für die aus dem hessischen Kassel stammende E. sowie zwischen zwei Jahren und neun Monaten sowie drei Jahren neun Monaten für die drei Männer gefordert hatte.

Die Vorwürfe gegen Lina E. und die anderen Beschuldigten wogen schwer. Der Generalbundesanwalt warf ihnen vor, zwischen 2018 und 2020 tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach brutal zusammengeschlagen zu haben. E. gilt bei der Anklagevertretung als Kopf der Gruppe. In mindestens zwei Fällen soll sie das Kommando geführt haben. Ein Kronzeuge hatte die Beschuldigten belastet. Laut Anklage wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedrohlich. Die Beschuldigten hätten den demokratischen Rechtsstaat ebenso abgelehnt wie das staatliche Gewaltmonopol, lautete eine weitere Anschuldigung.

Prozess unter hohen Sicherheitsvorkehrungen

Der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen laufende Prozess hatte im September 2021 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt saß Lina E. schon zehn Monate in Untersuchungshaft, während die Männer auf freiem Fuß blieben. Bis auf Angaben zur Person schwiegen die Beschuldigten zu den Vorwürfen. Nur Lina E. ergriff beim „letzten Wort“ die Chance und bedankte sich bei ihren Eltern, Angehörigen, allen Unterstützern und Verteidigern. Zu diesem Zeitpunkt war ihr das mögliche Strafmaß schon bekannt.

Für die Verteidigung kamen nach dem Prozessverlauf nur Freisprüche infrage, sie hält den Prozess für politisch motiviert und am falschen Ort geführt. Allein der Umstand, dass die GBA die Ermittlungen an sich zog, habe zu höheren Strafanträgen geführt, argumentierten sie in ihren Plädoyers. Sie sahen ihre Mandanten einer Vorverurteilung ausgesetzt und warfen den Bundesanwälten vor, bei der Verurteilung rechter und linker Straftäter unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen. Dem Gericht wurde unterstellt, voreingenommen zu sein.

Zur Urteilsverkündung wurde besonders Lina E. von Angehörigen und Anhängern im Saal mit tosendem Beifall, stehenden Ovationen und Sprechchören empfangen und minutenlang gefeiert. Zur Verkündung des Strafmaßes protestierten sie, Zuschauer beschimpften das Gericht. Vor dem Gebäude am Stadtrand, in dem sich der Hochsicherheitssaal von Sachsens Justiz befindet, demonstrierten mehrere Dutzend Anhänger vor allem aus Leipzig und bekundeten Solidarität mit Lina E.

+++ Dieser Artikel wurde am 1. Juni um 09.15 Uhr aktualisiert. +++

Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+! Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Einwilligung und Werberichtlinie

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten dazu genutzt werden, regelmäßig per E-Mail redaktionelle Inhalte des WESER-KURIER seitens der Chefredaktion zu erhalten. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Ich kann diese Einwilligung jederzeit formlos mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, z.B. per E-Mail an widerruf@weser-kurier.de.
Weitere Informationen nach Art. 13 finden Sie unter https://www.weser-kurier.de/datenschutz

Schließen

Das Beste mit WK+