„Unzumutbar, unbewohnbar“
Er ist der letzte FDP-Politiker auf bundespolitischer Bühne: Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Bundestages. Über die Stimmung in der Truppe, Auslandseinsätze und die Mängel bei Ausrüstung und Unterbringung sprach mit ihm Joerg Helge Wagner.
Herr Königshaus, wann waren Sie zuletzt bei der Truppe in Afghanistan?
Hellmut Königshaus:
Das ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her. Glücklicherweise hat sich die Situation für unsere Soldatinnen und Soldaten so entwickelt, dass ich nicht mehr so oft dorthin muss.
Welchen Eindruck hatten Sie von der Moral und der Ausstattung der Truppe?
Die Ausstattung, die Unterbringung und beispielsweise auch die Möglichkeiten, mit der Familie zu kommunizieren, sind inzwischen zum Teil besser als hier in der Heimat. Auch die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten hat sich verbessert. Ich bin mit dem Zustand dort zufrieden.
In jüngerer Zeit ist immer wieder von eklatanten Mängeln bei der Ausrüstung berichtet worden. Was ist für Sie der gravierendste Fall?
Vieles, was uns jetzt Probleme bereitet, ist zur Verbesserung des Schutzes unserer dort eingesetzten Kräfte unmittelbar aus der Fabrikhalle in den Einsatz gelangt: Das Transportfahrzeug Boxer zum Beispiel. Oder auch der Transporthubschrauber NH 90. Da musste man gewisse Kinderkrankheiten in Kauf nehmen, sofern die Sicherheit gewahrt blieb. Damit bin ich einverstanden. Im Grundbetrieb hier zuhause gab es Probleme, die mit der Überalterung des Gerätes und fehlenden Ersatzteilen zu tun haben. Kurzfristige Haushaltssperren in der Vergangenheit haben dazu beigetragen. 2010 gab es deshalb eine Verringerung der Bestellungen. Das führte zu einer stockenden Versorgung mit Ersatzteilen und Betriebsmitteln, die sich bis heute negativ auswirkt.
Sie sind selbst Reserve-Offizier der Luftwaffe gewesen. Kann man angesichts der Verzögerungen und Mängel beim Militärtransporter A400M oder beim Eurofighter von Skandal sprechen?
In diesen Kategorien würde ich das nicht beschreiben. Die Ursachen sind sowohl beim A400M als auch beim Eurofighter sehr komplex. Das Projekt wird von mehreren Nationen getragen, die zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten. Das Flugzeug sollte zudem Dinge können, die es bei der Auftragserteilung so noch gar nicht gab, als die Zielvorgaben festgeschrieben wurden. Solche Verzögerungen treten in solchen Fällen vor allem auf, wenn man immer wieder während der Projektphase in die Planung hineinfunkt und Änderungen fordert, die mit den Forderungen anderer Projektpartner nicht so einfach zu vereinbaren waren. Das ist hier offenkundig geschehen.
Darf man Soldaten in Kampfeinsätze schicken mit Gewehren, die rasch heiß geschossen sind - und deren Geschosse nicht einmal dickere Lehmmauern durchdringen?
Das G36 war nie dafür ausgelegt, Mauern zu durchschießen - das kann kein Sturmgewehr. Dafür gibt es andere Waffen. Ich bin zu Beginn meiner Amtszeit heftig kritisiert worden, weil ich genau diesen Aspekt angesprochen habe. Unsere Soldaten müssen in der Lage sein, sich angemessen zu verteidigen, also unter den Gegebenheiten in Afghanistan auch einen Gegner hinter Lehmmauern zu bekämpfen, wenn der sie angreift. Dies ist jetzt möglich mit anderen Waffentypen, die ergänzend zur Verfügung stehen.
Setzt die Verteidigungsministerin die richtigen Akzente, wenn sie sich für Kitas in Kasernen und Flachbildschirme auf den Stuben einsetzt?
Ja, das tut sie. Die Streitkräfte müssen so attraktiv sein, dass sich die Menschen auch in Zukunft für einen Dienst in den Streitkräften entscheiden können. Der Soldatenberuf ist schließlich unvermeidlich mit hohen Belastungen und Risiken verbunden, deshalb müssen wir insbesondere die vermeidbaren Belastungen auch vermeiden, sollen sich auch in Zukunft genügend junge Menschen für den Dienst für unser Land entscheiden. Wir reden hier schließlich von Staatsbürgern in Uniform, Menschen, die mitten in der Gesellschaft stehen. Dazu gehören dann aber auch entsprechende Standards bei der Ausstattung der Kasernen, die wir vorhalten müssen. Man kann die Soldaten nicht mehr in „versiffte“ Unterkünfte stecken, wie das heute leider oftmals der Fall ist.
Sind das die Probleme, mit denen Sie am häufigsten konfrontiert werden?
Mit am häufigsten. In den letzten Jahren kam eine Bundeswehr-Reform nach der anderen. Dies hat zu Unsicherheiten geführt, welche Kaserne erhalten bleibt und welche nicht. Jedes Mal wurden dann die Mittel zur Sanierung und Unterhaltung der Liegenschaften zurückgestellt. Zahlreiche Unterkünfte sind heute schlicht unzumutbar, und da reden wir nicht über fehlende Kühlschränke und Flachbildschirme, sondern über Schimmel in den Waschräumen und undichte Fenster.
Über welche Größenordnung reden wir?
Bei einem von mir angeregten „Screening“ im Sommer hat man festgestellt, dass nur die Hälfte aller Bauten baulich in Ordnung ist. 38 Prozent haben Mängel und neun Prozent sind eigentlich unbewohnbar, müssen aber weiter zur Unterbringung genutzt werden.
Hatte das Folgen?
Die Ministerin sieht den Bedarf. Sie wollte allein für die Sanierung - und nicht etwa für Flachbildschirme - in den nächsten Jahren eine halbe Milliarde Euro ausgeben. Das ist leider gekürzt worden - nicht vom Parlament, sondern schon in der Ressortabstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen durch die Bundesregierung.
Und nun?
Für dieses Jahr ist jedenfalls im Verteidigungshaushalt der Zug abgefahren. Ich appelliere deshalb an die Ministerin, dass sie diesen Bedarf noch einmal anmeldet, wenn das in Aussicht gestellte Konjunkturprogramm kommt. Wenn zur Stützung der Konjunktur zusätzlich gebaut wird, dürfen unsere Soldatinnen und Soldaten nicht vergessen werden. Das sollte dann losgelöst von den Verpflichtungsermächtigungen zusätzlich im Rahmen des Konjunkturprogrammes geschehen.
Freitag, 5. Dezember, diskutiert Hellmut Königshaus ab 19 Uhr auf Einladung der Liberalen Gesellschaft im Bremer Presse-Club.