Zumindest Bodo Ramelow ist vorbereitet. Schon im Wahlkampf brachte er das Modell einer Minderheitsregierung ins Spiel. Für ihn ist das nicht die Wunschkonstellation, aber auch kein Schreckgespenst. Der Haushalt für das kommende Jahr steht bereits. Die Landesverfassung sieht ohnehin vor, dass der Ministerpräsident so lange im Amt bleibt, bis ein neuer gewählt ist. Ramelow wäre zwar bei Abstimmungen von Fall zu Fall auf Stimmen von CDU oder FDP angewiesen.
Vermutlich würde er sie auch bekommen, weil staatspolitische Verantwortung eher honoriert wird als Fundamentalopposition. Da die bisherige Regierung aus Linken, Sozialdemokraten und Grünen geschäftsführend im Amt bleibt, müssten ihn weder CDU noch FDP zum Regierungschef wählen, noch über eine Tolerierung verhandeln. Es wäre für alle Parteien die bequemste Lösung, denn es müssten keine Wahlversprechen gebrochen, keine Grundsatz-Beschlüsse überprüft und keine alten Feindbilder diskutiert werden. Alle könnten wieder zur Tagesordnung übergehen, am bewährten Lagerdenken festhalten. Thüringen, eines der kleinsten Bundesländer, würde schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwinden, aber es wäre ein großer Fehler.
Wer von der Unfähigkeit von Demokraten, für stabile politische Verhältnisse zu sorgen, profitieren wird, liegt auf der Hand. Dabei grenzt es an Realitätsverweigerung, Ramelow, den Kretschmann der Linken, gemeinsam mit dem Ultrarechten Björn Höcke in die Extremisten-Ecke zu stellen, wie es CDU-Spitzenpolitiker gerade panikartig tun. Die Linken regieren im Osten seit über 20 Jahren mit, angefangen 1998 in Mecklenburg-Vorpommern; eine Revolution ist nirgends ausgebrochen. Der aus Niedersachsen stammende Pragmatiker Ramelow macht in Thüringen im Kern sozialdemokratische Politik und überzeugt selbst CDU-Anhänger als überparteilicher Landesvater und Christ.
Selbstverständlich hat Die Linke eine SED-Vergangenheit, daran wird im 30. Jahr des Mauerfalls zu recht auch ausführlich erinnert. Doch allein biografisch entfernt sie sich immer weiter von der alten DDR-Staatspartei und ihrem Schutzschild Stasi. Der größte Unterschied zu den anderen demokratischen Parteien besteht in der anti-westlichen Außenpolitik, die von irritierenden Forderungen nach einem NATO-Austritt bis zu einer oft kruden Autokratenverehrung reicht.
Höcke steht wie kein zweiter in der Partei für die Radikalisierung der AfD
Doch in der Thüringer Landespolitik geht es allenfalls um EU-Zuschüsse. Der von Höcke geführte „Flügel“ der AfD hingegen strebt ein anderes System an. Er versucht seine völkische Deutung von der Überlegenheit des deutschen Volkes in den demokratischen Diskurs einzubringen und als normal zu etablieren. Seine Nazi-Rhetorik und seine Versuche, die entsetzlichen NS-Verbrechen zu relativieren und die lästige Erinnerung daran verächtlich zu machen, ist von einem Fünftel der Wähler honoriert worden. Höcke steht wie kein zweiter in der Partei für die Radikalisierung der AfD.
Gleichwohl forderte der thüringische CDU-Vizefraktionschef Michael Heym Gespräche mit dem Faschisten Höcke und der FDP, was eine alternative Mehrheit ergeben würde. Das war weit mehr als nur die Antwort auf die Absicht des CDU-Landeschefs Mike Mohring, der jetzt mit Ramelow zwar reden will, aber in der Bundespartei derart unter Druck geraten ist, dass er Koalitionsverhandlungen schon vor dem ersten Gespräch ausschließen musste.
So rächt sich im kleinen Freistaat, dass die Union in der großen Bundesrepublik weder ihr Verhältnis zu linken Pragmatikern noch zur im Osten rechtsradikalen AfD klärte, sondern Denkverbote verhängte. Manche in der Partei scheinen nicht einmal zu wissen, wer unsere Demokratie und das friedliche Zusammenleben tatsächlich bedroht. Friedrich Merz' Bild vom „Nebelteppich“, der sich seit langem über seine Partei gelegt hat, bringt den Zustand auf den Punkt, der – klar – auch durch „mangelnde Führung“ entstanden ist.
Die CDU könnte heute schon viel weiter sein, hätte ihre Spitze nicht die vom Kieler Regierungschef Daniel Günther angestoßene Debatte über eine Kooperation mit Ost-Linken abgewürgt. Inhaltlich unvorbereitet, ohne die notwendige innerparteiliche Diskussion, würde jetzt eine Koalition mit den Linken die CDU nicht nur in Thüringen zerreißen; Mohring kann nicht mehr als ein gelegentlicher Tolerierungspartner sein. So gibt es auch im bald beginnenden 30. Jahr der Einheit keine Chance für eine stabile Regierung, die für Wandel und Versöhnung in beiden Teilen Deutschlands stünde.