Man muss kein Neoliberaler sein, um festzustellen, dass die Corona-Politik beschleunigt, was sich schon abzuzeichnen schien: Eine Reihe von Bürgern verlässt sich offenbar mehr und mehr darauf, dass sich der Staat schon kümmern und für die maßgeblichen Leitplanken am Rande jedes Lebenswegs sorgen wird. Wo es keine Planken gibt, ist alles möglich. Was nicht verboten ist, ist erlaubt.
In der momentanen Lage ist diese Haltung fatal: Neben der Bundeskanzlerin plädieren namhafte Experten und Wissenschaftler für einen harten Lockdown. Einige Länder haben bereits Konsequenzen gezogen, andere – wie Bremen und Niedersachsen – zögern (noch). Dabei weiß im Grunde jedes Kind: Wenn allein der Infektionsschutz die Entscheidung bestimmte, ohne Rücksicht auf Grundrechte, auf soziale und wirtschaftliche Schäden, gäbe es kein Vertun. Die Zahl der Neuinfektionen bietet wenig Interpretationsspielraum: Die Regeln wurden nicht von allen überall eingehalten.
Gute Corona-Politik definiert sich aber weniger durch Verordnungen und ihre Strenge, als durch ihre Kraft, für Einsicht zu sorgen und damit das Verhalten jedes Einzelnen zu bestimmen. Man kann sich um den Glühweinstand drängeln, solange er noch steht. Man kann an den Feiertagen noch einmal die Puppen tanzen lassen, bevor es untersagt wird. Man kann bis ans Limit gehen. Muss man aber nicht.
Wen die Zahlen beunruhigen – und dazu bieten sie Anlass –, kann jeden Abend zu Hause bleiben, aus freien Stücken. Das nennt sich Verantwortung. Sie definiert Grenzen. Würde sie als Begrenzung angenommen, für sich und für andere, käme das einem härteren Lockdown auf freiwilliger Basis gleich. Dass es dazu kommt, darauf deutet dieser Tage indes wenig hin.