Es bahnt sich etwas an in Potsdam: ein rot-grünes Kanzlerkandidaten-Duell. Doch so einfach wie es klingt – Olaf Scholz gegen Annalena Baerbock – ist es nicht. Scholz ist zwar von der SPD als Regierungschef in spe lautstark ausgerufen worden, doch einen Wahlkreis hat er noch nicht. Der Vize-Kanzler und frühere Hamburger Bürgermeister, der viermal hintereinander in Altona das Bundestags-Direktmandat gewann, trifft in der brandenburgischen Landeshauptstadt auf vornehme Zurückhaltung und wenig Ehrfurcht. Bislang hat noch keiner der vier anderen Bewerber für den Bundestags-Wahlkreis 61 zugunsten des 62-Jährigen verzichtet, seit er Ende Mai sein Hut in den Ring warf.
An der Basis wird daran erinnert, dass es der einzige Wahlkreis war, den die SPD in Ostdeutschland bei der vergangenen Wahl direkt gewonnen hat. Und warum soll ausgerechnet dort ein erst kürzlich zugezogener Wessi antreten? Auf Scholz dürfte jedenfalls an seinem neuen Wohnort bis zur Nominierung im Herbst noch einige Überzeugungsarbeit zukommen. Zwar konnte er während der Corona-Krise als Bundesfinanzminister seine Beliebtheitswerte deutlich steigern, doch die Wirecard-Affäre und die Aufzeichnungen eines Hamburger Bankiers können Olaf Scholz noch gehörig ins Schlingern bringen.
Ins bürgerliche Potsdam, in dem mit Abstand die meisten Wohlhabenden im Osten leben, passt der Politiker mit seinem bislang grundseriösen Image durchaus. Und letztlich werden die Potsdamer Genossen nicht ihre ohnehin arg gerupfte Partei zum Spott-Objekt machen wollen, indem sie den Kanzlerkandidaten nicht aufstellen.
Zum dritten Mal Direktkandidatin in Potsdam
Annalena Baerbock hingegen lebt mit ihrer Familie schon lange in der Havelstadt, ist dort bestens vernetzt. Die 39-Jährige startete in Potsdam ihre politische Karriere, war in Brandenburg Grünen-Chefin und wird im Wahlkreis 61 zum dritten Mal als Direktkandidatin antreten. Bei der Landtagswahl im Herbst 2019 fiel einer der beiden Potsdamer Wahlkreise erstmals an die Grünen, der andere blieb bei der SPD. Zwar ist der Zuschnitt bei der Bundestagswahl ein etwas anderer, doch spannend dürfte es werden.
Baerbock gilt in ihrer Partei neben Robert Habeck als potenzielle Kanzlerkandidatin. Doch niemand weiß momentan, für wen die Grünen letztlich ihren Spitzenplatz reservieren werden, wenn es ihn denn überhaupt gibt.
Auf der anderen Seite der Glienicker Brücke, die Potsdam und Berlin verbindet, steht ein fliegender Wechsel anderer Art an, der ein Zeichen für die Erosion der Macht ist. Franziska Giffey wird in wenigen Wochen die Berliner SPD führen. Dann soll das Duo Giffey und Raed Saleh, der einflussreiche Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Regierungschef Michael Müller an der Spitze der Partei ablösen.
Dass die SPD, die Berlin seit Jahrzehnten prägt, inzwischen in Umfragen auf 16 Prozent abgestürzt ist, wird vor allem dem blassen Müller angelastet. Der Regierungschef, zugleich Wissenschaftssenator, hatte während der Corona-Krise fast alles richtig gemacht. Doch statt seine Ambitionen auf eine Bundestagskandidatur voranzutreiben, sonnte er sich in den besten Zustimmungswerten seiner Amtszeit. Jetzt ist Müller nicht nur ein Mann von gestern, sondern hat sich durch sein Zögern in eine tragische Lage manövriert. SPD-Bundesvize Kevin Kühnert hat ihn aus seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg als Kandidat verdrängt, im Nachbarbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, in dem Müller jetzt für den Bundestag kandidieren möchte, hat er mit Staatssekretärin Sawsan Chebli eine ernsthafte Konkurrentin.
Bundesfamilienministerin Giffey, die bei jedem Termin in Berlin strahlt, ist zwar die ungekrönte Umfragekönigin, weil sie als Bildungs- und Law-and-Order-Politikerin viel breitere Kreise anspricht als ihre Partei. Die ausgesprochen beliebte Sozialdemokratin muss nun auch Machtbewusstsein beweisen, indem sie den brisanten Konflikt zwischen Müller und Chebli entschärft. Es ist ihre Feuerprobe als künftige Landeschefin. Ansonsten droht der Neustart der Berliner SPD gleich zum Fehlstart zu werden.