Die Räumung von Teilen des Flüchtlingslagers in Calais ist am Mittwoch fortgesetzt worden. Im Schutz eines großen Polizeiaufgebotes begannen Arbeiter Baracken und Unterkünfte abzureißen.
Alles soll schnell gehen, systematisch und unter der Aufsicht bewaffneter Polizisten. Seit Beginn der Woche rücken im Flüchtlingslager in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais Dutzende Einsatzkräfte an und mit ihnen die schweren Bulldozer. Zelte und Baracken werden eingerissen, Planen und Decken abtransportiert, Reste entsorgt.
Am Dienstag regnet und windet es – ein kalter, trister Tag, der sich das Elend in dem Lager zum Vorbild genommen zu haben scheint. Dutzende Flüchtlinge stehen im Schlamm zwischen Müllbergen und blicken auf das, was für eine Weile ihr Zuhause war. Am Montag begann die umstrittene Teilräumung des Flüchtlingslagers in Calais. Aber die Menschen wollen aus dem slumähnlichen Ort nicht weg, halten verzweifelt an dem Traum fest, der sich für sie auf der anderen Seite des Ärmelkanals erfüllen soll.
Im „Dschungel“ bei Calais leben sie zwar in katastrophalen Verhältnissen. Es mangelt an Toiletten und Duschen, an Decken, Kleidung und Essen. Doch die Bulldozer zerstören nicht nur ihre Zelte und Baracken, sondern vor allem ihre Hoffnung auf ein neues, besseres Leben. Umso erbitterter wehrten sich Bewohner und Aktivisten in den vergangenen Tagen. Bis die Situation eskalierte. Am Montagabend zündeten einige Betroffene erst provisorische Bauten, Zelte und Planen an, dann kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen, Aktivisten und Polizisten.
Migranten warfen Steine nach Polizisten
So warfen Migranten Steine auf Polizeibeamte und vorbeifahrende Lastwagen, die sich auf dem Weg nach Großbritannien befanden. Einige attackierten mit Stöcken die Fahrerhäuschen, um gegen die behördlichen Räumkommandos zu protestieren. Die Einsatzkräfte setzten Tränengas und Wasserwerfer gegen die Aufgebrachten ein. Elf Polizisten sind laut der französischen Behörden durch Wurfgeschosse leicht verletzt, drei der Protestler, darunter eine Deutsche und ein Brite, wegen des Vorwurfs der Brandstiftung festgenommen worden.
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve verurteilte am Dienstag die Ausschreitungen und kritisierte die britische Organisation „No Borders“. „Der Aktivismus einiger extremistischer und gewalttätiger Aktivisten von ,No Borders’ wird nichts ändern“, sagte er. „Diese Operation wird in den nächsten Tagen mit Ruhe und Methode fortgesetzt, indem wir jedem einen Platz anbieten.“
Die Flüchtlinge, die überwiegend aus dem Sudan, Eritrea, dem Irak und Afghanistan stammen, fürchten jedoch, gezwungen zu werden, in Frankreich Asyl zu beantragen. Dabei soll das Land nur ein Zwischenstopp sein. In dem Lager hatten die Flüchtlinge das Vereinigte Königreich vor Augen. Dort erst wollen sie ihre beschwerliche Reise beenden. Immerhin herrscht auf der Insel geringere Arbeitslosigkeit und der Wirtschaft geht es vergleichsweise gut. Eine Ausweispflicht gibt es nicht, so dass es für illegale Einwanderer leichter scheint unterzutauchen. Zudem sprechen viele der Geflohenen Englisch und haben bereits Verwandte oder Freunde in Großbritannien.
Flüchtlinge sollen in Aufnahmelagern untergebracht werden
Während Hilfsorganisationen von mehr als 3000 Flüchtlingen sprechen, die von der Teilräumung betroffen sein sollen, geht es den französischen Behörden zufolge um rund 1000 Menschen, die in den nächsten Wochen umziehen sollen. Damit wollen sie erreichen, dass die Zahl der „Dschungel“-Bewohner dauerhaft nicht 2000 übersteigt. Derzeit leben laut offiziellen Angaben um die 3000 Menschen in dem Flüchtlingslager.
Die nun zum Umzug gezwungenen Flüchtlinge sollen entweder in rund 100 Aufnahmezentren in ganz Frankreich aufgeteilt werden, wo sie einen Asylantrag stellen können. Oder aber sie werden in beheizten Containern neben der Zeltstadt untergebracht, doch dort fehlen Kochmöglichkeiten. Hilfsorganisationen sorgen sich, dass viele Menschen aus Verzweiflung deshalb lieber auf der Straße oder in umliegenden Feldern schlafen – bis sie es endlich in ihr gelobtes Land schaffen: Großbritannien.
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