Der Kinofilm „Die Verlegerin“ hat der „Washington Post“ ein kinematografisches Denkmal gesetzt: Meryl Streep spielt die Verlegerin Katharine Graham, die 1971 zwischen den Interessen der Investoren und Redaktion abwägen muss und sich am Ende für die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere und damit für die Pressefreiheit entscheidet. Knapp 50 Jahre später scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Die Zeitung steht unter politischem Druck.
Der Präsident heißt nicht Richard Nixon, sondern Donald Trump, und der Eigentümer ist nicht mehr die Graham-Familie, sondern Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Zeitung 2013 für 250 Millionen Dollar übernahm und Präsident Trump in herzlicher Abneigung verbunden ist. Obwohl Bezos als Privatperson und nicht Amazon die Zeitung besitzt, versucht Trump das traditionsreiche Blatt zu diskreditieren.
Diese Verleumdung ist Teil einer aus dem Weißen Haus orchestrierten Schmutzkampagne, bei der Medien (CNN und die „New York Times“) pauschal als „Fake-News-Medien“ diffamiert und wie zum Hohn „Fake-News-Awards“ verliehen werden – eine zweifelhafte Anerkennung, die eine beispiellose Missachtung der Pressefreiheit zum Ausdruck bringt. Insofern wären die despektierlichen Einlassungen Trumps auf seinem bevorzugten Verlautbarungsmedium Twitter nicht weiter verwunderlich. Doch die „Washington Post“ markiert insofern einen Sonderfall, als Trump darin einen medial-industriellen Komplex wittert, eine unheilvolle Allianz zwischen „den“ Medien in Washington und „dem“ Technologiesektor.
Trump hat wiederholt die mangelnde Steuermoral von Amazon gegeißelt und die „Post“ als Zentralorgan dieser Steuervermeidungsstrategie ausgemacht – bereits vor seinem Amtsantritt. So twitterte er im Dezember 2015: „Wenn Amazon jemals faire Steuern bezahlt hätte, würden seine Aktien einbrechen und es zerbröseln wie eine Papiertüte. Der Washington-Post-Beschiss rettet es.“ Im Juli vergangenen Jahres, diesmal als Präsident im Wahlkampfmodus, legte Trump nach und feuerte eine weitere Salve ab: „Wird die Fake-News-Washington-Post als lobbyistische Waffe gegen den Kongress genutzt, um Politiker davon abzuhalten, sich Amazons Nichtsteuer-Monopol anzusehen?“, fragte er auf Twitter. Solche Frontalangriffe hätte sich vermutlich nicht einmal Richard Nixon in der Watergate-Affäre getraut.
Doch die Frage, worauf Trumps Polemik abzielt, ist, wie unabhängig die „Washington Post“ von den Interessen ihres Eigentümers und dessen Konzern ist. Die Nichtregierungsorganisation Fair, ein Medien-Watchdog, kritisiert, dass die „Washington Post“ in der Berichterstattung über Amazons Suche nach einem zweiten Hauptquartier eine Pressemitteilung des Unternehmens und wirtschaftliche Kennzahlen ungeprüft übernommen habe. „Die Behauptung eines Konzerns über seinen eigenen wirtschaftlichen Einfluss per Copy and Paste zu übernehmen, wäre allein schon schlampig genug, doch dies für einen Konzern zu tun, dessen Chef auch der eigene ist, stellt einen klaren Interessenkonflikt dar“, bemängelt die Organisation.
Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital
Nun würde man dem reputierlichen Blatt gewiss unrecht tun, es als „Amazon-Postille“ oder Mitarbeiterzeitung von Jeff Bezos zu karikieren. Die „Post“ hat reichlich kritische Geschichten etwa über Amazons Netzwerklautsprecher Echo und dessen Sprachsoftware Alexa ins Blatt gehoben. Doch Beißhemmungen gegenüber dem Eigentümer lassen sich in der Berichterstattung um den neuen Firmencampus nicht leugnen.
Der Vorwurf des Interessenkonflikts ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Auch bei der Investigativ-Plattform „The Intercept“, die von Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanziert wird, wurde entsprechende Kritik laut. Zwar macht die „Washington Post“ den Doppelhut von Bezos als Eigentümer und Amazon-Chef in ihren Artikeln transparent, doch ist sie dadurch angreifbar.
Jeder Artikel mit einem Bezug zu Amazon steht unter dem Verdacht der Einflussnahme und PR. Schon der Anschein eines Interessenkonflikts liefert Munition für Trumps „Krieg gegen die Medien“, wenngleich der nicht nach medienethischen Grundsätzen ausgefochten wird. Die mehrfach ausgezeichnete „Post“ ist durch die neue Digitalstrategie ökonomisch auf einem guten Weg. Langfristig muss sie jedoch Sorge tragen, dass sie durch die Interessen ihres Eigentümers nicht ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Und das ist noch immer das wichtigste Kapital der Zeitung.
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