Bremen Angepasste Neandertaler

Wenn sich die Umwelt oder das Klima verändern, sind Lebewesen gezwungen, sich anzupassen oder in andere Gebiete auszuweichen. Fachleute rechnen deshalb zum Beispiel damit, dass die Zahl der Klimaflüchtlinge in den nächsten Jahrzehnten stark zunehmen wird.
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Angepasste Neandertaler
Von Jürgen Wendler

Wenn sich die Umwelt oder das Klima verändern, sind Lebewesen gezwungen, sich anzupassen oder in andere Gebiete auszuweichen. Fachleute rechnen deshalb zum Beispiel damit, dass die Zahl der Klimaflüchtlinge in den nächsten Jahrzehnten stark zunehmen wird. Große Hitze und Trockenheit könnten dazu führen, dass Menschen bestimmte Regionen verlassen. Vergleichbare Herausforderungen gab es auch zu früheren Zeiten, so etwa zu Zeiten der Neandertaler. Waren sie fähig, unterschiedliche Überlebensstrategien zu entwickeln?

Antwort: Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Neandertaler modernen Menschen, was die Anpassung von Überlebensstrategien angeht, ähnlicher waren als lange Zeit angenommen. Den anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) gibt es nach heutigem Kenntnisstand seit rund 200 000 Jahren. Er hat sich nach Ansicht von Wissenschaftlern in Afrika entwickelt und von dort aus nach und nach andere Teile der Erde besiedelt. Wesentlich früher entstand der Neandertaler (Homo neanderthalensis). Forschern ist es zum Beispiel gelungen, rund 400 000 Jahre altes Erbgut aus einer spanischen Höhle mit dem Namen Sima de los Huesos Neandertalern zuzuordnen.

Neandertaler hatten ein breiteres Becken, kräftigere Beine und vermutlich ein etwas größeres Gehirn als moderne Menschen. Sie verwendeten hölzerne Speere zum Jagen sowie Steinwerkzeuge zum Schaben und Schneiden und haben sich mit modernen Menschen vermischt, nachdem diese vor etwa 45 000 Jahren nach Europa gelangt waren. Davon zeugt die Tatsache, dass ein kleiner Teil des Erbguts heutiger Menschen auf Neandertaler zurückgeht. Vor etwa 40 000 Jahren sind die Neandertaler ausgestorben. Die Gründe dafür sind unklar. Für die Vermutung, dass eine mangelnde Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen die Ursache gewesen sein könnte, haben Forscher bislang keine überzeugenden Belege finden können.

Eine internationale Forschergruppe um Professor Hervé Bocherens vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen hat kürzlich im Fachjournal „Quaternary Science Reviews“ eine Studie veröffentlicht, die vielmehr in die entgegengesetzte Richtung deutet. Danach besaßen Neandertaler ein hohes Maß an Flexibilität, das heißt: Schon vor 250 000 Jahren waren sie in der Lage, Überlebensstrategien selbst dann zu verändern, wenn sie nicht durch äußere Einflüsse dazu gezwungen wurden. Die Wissenschaftler haben Fossilien der Fundstelle Payre im Südosten Frankreichs untersucht. Dabei nutzten sie den Umstand, dass Atome ein und desselben chemischen Elements, etwa Sauerstoff oder Kohlenstoff, eine unterschiedliche Masse haben können. Solche Varianten mit unterschiedlichen Massen werden als Isotope bezeichnet. Bocherens und seine Kollegen sahen sich die Isotopenzusammensetzung des Karbonats von Neandertalerzähnen an. Karbonat ist ein wesentlicher mineralischer Bestandteil von Knochen und Zähnen. Aus der Isotopenzusammensetzung lassen sich Rückschlüsse auf die Nahrung ziehen. Wie die Analyse der Fossilien zeigte, hatte eine Gruppe von Neandertalern überwiegend im Tal Nashörner und Pferde gejagt, während eine andere sich auf Rotwild spezialisiert hatte, das auf einer Hochebene lebte. Diese unterschiedlichen Ansätze hingen nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler nicht mit Veränderungen von Umwelt- und Klimabedingungen zusammen. Diese seien zu jener Zeit konstant geblieben.

Die bislang letzte Kaltzeit begann vor etwa 115 000 Jahren und endete vor rund 11 700 Jahren. Während dieser Phase starben die Neandertaler aus. Auf dem Höhepunkt der Kaltzeit vor ungefähr 20 000 Jahren bedeckten kilometerdicke Eismassen Skandinavien. Die Gletscher reichten bis zum Nordosten Deutschlands. Der Meeresspiegel lag gut 120 Meter niedriger als heute. Wo später Wälder entstanden, befanden sich baumlose Steppenlandschaften, sogenannte Tundren, und in Europa lebten Vertreter vieler Tierarten, die inzwischen ausgestorben sind. Beispiele liefern die zur Familie der Elefanten gehörenden Mammute, Wollnashörner, Säbelzahnkatzen, Höhlenbären, -hyänen und -löwen.

Bocherens hat schon früher Studien zur Ernährung der Neandertaler veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass sich Neandertaler überwiegend von großen Pflanzenfressern wie Mammuten und Wollnashörnern ernährt haben. Wie die Steinzeitmenschen, so nutzten auch sie außerdem pflanzliche Nahrung. Nach den Angaben des Tübinger Professors lag deren Anteil in einer ähnlichen Größenordnung wie bei den Menschen, nämlich bei etwa 20 Prozent. Davon, dass Neandertaler auch Fisch gegessen haben, zeugen Gräten von großen Lachsen, die vor etwa 48 000 bis 42 000 Jahren in einer Höhle im Kaukasusgebirge angehäuft worden waren.

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