Bremen. Mit Kreide an die Tafel malen, verstaubte Atlanten verteilen und auf Arbeitsblätter schreiben – all das ist in den meisten deutschen Schulen noch Alltag. Doch der digitale Wandel soll nun auch in die Klassenzimmer einziehen. Dafür soll der Digitalpakt Schule sorgen, der Mitte März beschlossen wurde. Demnach investiert der Bund in den kommenden fünf Jahren fünf Milliarden Euro in die flächendeckende Digitalisierung von Schulen. Bremen soll rund 50 Millionen Euro erhalten.
Doch wie digital soll die Schule werden? Wird es in Zukunft noch Lehrbücher, Handschrift und Arbeitsblätter geben? Und werden Lehrer zwischen virtueller Realität, neuesten Apps und Robotern überhaupt noch benötigt? „Soweit sollten wir noch gar nicht denken. Das Bildungssystem ist langsam. Der Digitalpakt ist erst einmal ein Nachholen von 20 Jahren Investitionslücke“, sagt Professor Andreas Breiter, Leiter des Instituts für Informationsmanagement in Bremen. In den vergangenen Jahren hat er mit seinem Team in ganz Deutschland zum digitalen Wandel von Schulen geforscht.
Nur jede dritte Schule hat Zugang zu Wlan
Einige Schulen sind laut Breiter bereits weit mit der Digitalisierung, verfügten zum Teil schon über digitale Tafeln, Tablets oder Beamer. Doch nur jede dritte Schule in Deutschland habe in allen Klassen- und Fachräumen Zugang zu Wlan und schnellem Internet. Das ergibt auch eine aktuelle Forsa-Umfrage, die im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung durchgeführt wurde. „Diese Ungleichheiten müssen erst einmal beseitigt werden“, so Breiter. Andere Nachbarländer, wie Dänemark oder die Schweiz, seien da schon sehr viel weiter. Breiter und sein Team sind viel in Schulen unterwegs. Sie beobachten den Unterricht, untersuchen Lehrpläne, Materialien, befragen die Schulleitung und Lehrer. „Bremen ist ein bunter Durchschnitt“, sagt Breiter. „An manchen Schulen liegt Bremen ganz weit vorne. An anderen wieder nicht.“
Ob die Lernergebnisse besser werden mithilfe digitaler Technologien – dazu kann Breiter noch nichts sagen. Bisher gebe es noch keine durchgehend positiven oder negativen Ergebnisse. Es komme eher darauf an, wie digitale Medien eingesetzt werden, was zur Verfügung stehe, welche Lerntypen im Klassenraum sitzen und wie gut die Lehrkraft qualifiziert sei. „Da haben wir ein großes Defizit“, sagt Breiter. „Die Lehramtsstudenten lernen das nicht in der Uni und auch nur begrenzt im Referendariat.“ Denn digital bedeutet nicht automatisch ein besseres Lernen. „Eine schlechte Lehrkraft mit langweiligem Material macht auch mit digitalen Medien nichts Sinnvolles“, sagt Breiter.
Eine kulturpolitische Debatte
Breiter sieht die Digitalisierung der Schule vor allem als Chance. Der Unterricht sei interaktiver, anschaulicher. Man könne Kinder mit Lernproblemen besser unterstützen. Und es sei einfacher, Aufgaben zu individualisieren. Doch das sehen nicht alle so.
Immer wieder gibt es kritische Stimmen, die eine Übermacht der digitalen Geräte in der Schule als Gefahr sehen. Die Vorwürfe: Schüler könnten alles googeln, müssten sich nichts mehr merken. Sie könnten gar verlernen, wie man schreibt oder Bücher verwendet.
Die Diskussion über die Zukunft der Schule ist nach Breiter daher schon fast eine kulturpolitische Debatte. „Ist es nicht wichtiger, aktiv zu sein, selbst zu fragen, selbst zu handeln? Der Frontalunterricht wird dank Digitalisierung zurückgehen – und das ist auch gut so“, sagt Breiter.
Kritischer Umgang mit digitalen Hilfsmitteln
Ähnlich sieht das auch Christian Radke. Er ist stellvertretender Schulleiter der Neuen Oberschule in Gröpelingen. Die Schule ist digital bereits gut ausgestattet. In allen Räumen gibt es Wlan. Jeder Raum hat einen PC und einen Beamer. Außerdem verfügen einige Jahrgänge über etwa zehn bis zwanzig Laptops. Auch einige Tablets stehen zur Verfügung. Im Unterricht wird bereits viel mit Videos und interaktivem Lernen gearbeitet. Unterricht verändere sich, meint Radke. Und das sei gut so. „Der Lehrer ist nicht mehr derjenige, der all das Wissen hat. Die Kinder können googeln, eigene Projekte verfolgen, kreativ sein, nachdenken. Sie sind mit dieser Arbeitsweise tiefer in der Thematik drin“, sagt Radke.
Die Schüler haben unterschiedliche Hintergründe. „Da kann man nicht mehr sagen: Wir nehmen ein Lehrwerk“, sagt Radke. „Wir müssen auf die einzelnen Kinder eingehen. Das geht mit digitalen Medien besser.“ Die Schüler müssten sich außerdem in der digitalen Welt zurechtfinden, die Schule kann dabei helfen. Der kritische Umgang mit den digitalen Hilfsmitteln sei eine wichtige Aufgabe. Ob Datenschutz oder Quellenüberprüfung – Kinder müssen Medienkompetenz erlernen. „Wo soll das beigebracht werden, wenn nicht in der Schule?“, so Radke.
Digitalisierung ist auch für die Lehrer eine Erleichterung
Auch für die Lehrer seiner Schule sei die Digitalisierung eine Erleichterung bei ihrer Arbeit: In dem digitalen Klassenbuch können sie alles schnell vermerken und bei Elterngesprächen abrufen. In Bremen gibt es außerdem eine digitale Lernplattform „It’s learning“. Jeder Schüler oder Lehrer in Bremen hat Zugriff auf die Plattform. Die Lehrer können Dokumente, Bilder oder Listen für den Unterricht hochladen. Die Schüler können jederzeit darauf zugreifen.
Mit dem vorgesehenen Geld aus dem Digitalpakt möchte Radke vor allem neue Geräte anschaffen, damit mehr Schüler mithilfe digitaler Medien arbeiten können. Doch hat Bremen in der Bildung nicht andere Probleme als die Digitalisierung an Schulen? Immer wieder werden die großen Baustellen wie Unterrichtsausfall oder die Sanierung der Schulgebäude thematisiert.
„Es muss prinzipiell mehr Geld für Bildung ausgegeben werden“, sagt Radke. „Aber wenn ich sage: Bis nicht das letzte Fenster getauscht ist, gibt es keine neuen digitalen Geräte, dann ist das auch keine Möglichkeit. Der Sanierungsstau darf nicht auch noch die Digitalisierung bremsen.“ Deutschland hänge da bereits hinterher.
Das Lernen wird bunter
„Digitalisierung ist die Realität der Schüler. Wir müssen sie berücksichtigen und können nicht einfach sagen, dass wir Smartphones und Tablets aus der Schule fernhalten wollen“, meint auch Thomas Kieckbusch, Geschichtslehrer an der Neuen Oberschule in Gröpelingen. Wie Breiter und Radke sieht er eine neue Chance in der Arbeit mit digitalen Medien.
„Das Lernen wird bunter. Die Motivation meiner Schüler ist der Wahnsinn, wenn sie mit digitalen Medien arbeiten“, sagt der Lehrer. Die häufigste Frage, die ihm seine Schüler mittlerweile stellen, ist: „Darf ich das abfotografieren?“

Der Unterricht wird bunter und die Kinder motivierter. An interaktiven Lerntafeln können sie etwa spielerisch lernen.
Schüler organisieren Leben mit Handys
„Es verschiebt sich“, sagt Kieckbusch. „Die Welt, das Leben organisieren die Schüler mit Handys. Sie nehmen nicht mehr die Mappe mit nach Hause, sondern fotografieren alles ab.“ Kieckbusch glaubt, dass die Kinder lieber und natürlicher mit Handy lernen oder mit anderen digitalen Medien. Das müsse man akzeptieren. Kieckbusch teilt seine Schüler im Geschichtsunterricht daher oft in Gruppen ein. Einige lesen lieber einen Text, andere sehen ein Video mit demselben Inhalt. Andere wiederum erarbeiten sich ihr Wissen anhand alter Werbefilme oder Wahlplakate. Und dann gibt es welche, die lieber Podcasts oder Hörspiele hören – je nach Lerntyp. „Als ich zur Schule gegangen bin, war der Videorekorder ein Highlight. Wir müssen mit der Zeit gehen, uns auch den Schülern anpassen, damit wir sie abholen können“, sagt Kieckbusch.
Bücher lesen und die Handschrift erlernen sei dennoch essenziell. „Das wird nicht verloren gehen“, so Radke. „In zehn Jahren wird nach wie vor ein Duden in der Ecke des Klassenzimmers stehen. Ich würde mir wünschen, dass es dann selbstverständlich ist, mit digitalen Medien zu arbeiten, den Unterricht zu öffnen, kreativer zu sein.“ Den Lehrer wird es seiner Meinung nach immer geben. „Beziehungen aufbauen, Empathie zeigen, für die Schüler da sein – das wird ein Roboter niemals können.“