Steven Avery strahlt. 18 Jahre saß der Mann aus dem US-Bundesstaat Wisconsin unschuldig in Haft – jetzt ist er frei und wiegt sich in den Armen seiner Liebsten. Nach der Verurteilung wegen Vergewaltigung im Jahr 1985 beweist 2003 eine DNA-Analyse seine Unschuld. Lang kann er seine Freiheit nicht genießen: Nur zwei Jahre später ist Avery erneut hinter Gittern. Mord lautet dieses Mal die Anklage, wieder beteuert er seine Unschuld.
Steven Avery ist der Protagonist der aufwendig produzierten Netflix-Dokumentationsreihe „Making a Murderer“. Dank erfolgreicher Eigenproduktionen wie dieser können sich Video-on-Demand-Anbieter wie Netflix oder Amazon über stetig steigenden Abo-Zahlen freuen. Wer Filme und Serien über das Internet streamt, der kann Inhalte ohne Unterbrechung ansehen, wann und wo es dem Nutzer beliebt. Abo statt Werbung lautet das Motto. Nach einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom rufen mittlerweile 22 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland regelmäßig Serien und Spielfilme auf Online-Portalen ab.
2016 plant Netflix den großen Wurf: Von der Verfügbarkeit in derzeit 60 Ländern soll der Markt auf über 190 Länder steigen. Schon jetzt umfasst der Kundenstamm des kalifornischen Unternehmens mehr als 69 Millionen Menschen mit einen kostenpflichtigen Account.
Nach einer Erhebung des Statistikportals Statista hat das Internetkaufhaus Amazon mit seinem Video-Dienst in Deutschland mit 60,3 Prozent der Abonnenten die Nase vorn.
Der US-Anbieter Netflix belegt mit 32,7 Prozent Rang zwei. Das Videoportal Maxdome des Medienunternehmens Prosiebensat.1 folgt mit 24,3 Prozent auf dem dritten Platz.
Lineares Fernsehen weiterhin beliebt
Trotz fester Sendezeiten, linearem Programm und sich wiederholenden Formaten: Das klassische TV bleibt in Deutschland ungeachtet der digitalen Mitbewerber weiterhin beliebt. Vielen Zuschauern scheint es auszureichen, dass amerikanische Serienerfolge wie „The Walking Dead“ oder „Sherlock“ mit einiger Verzögerung im Abendprogramm der großen Fernsehsender laufen. Nur bei den jungen Nutzern liegt das Internet-TV in der Nutzungsdauer derzeit vor dem linearen Fernsehen. Leif Kramp hat dafür eine einfache Erklärung. „Mit Blick auf die gesamte Gesellschaft und alle Altersschichten ändern sich Nutzungsgewohnheiten im Durchschnitt eher langsam“, sagt der Medienwissenschaftler von der Universität Bremen.
Netflix-Gründer Reed Hastings stellt sich auf eine dauerhafte Koexistenz der beiden Technologien ein. „Die lokalen TV-Sender werden weiterhin regionale Inhalte anbieten. Wir können nicht französischer sein als etwa Canal+“, sagte er am Rande der Internet-Konferenz DLD in München. Er glaube aber, dass lineares Fernsehen mit festen Sendezeiten an Bedeutung verlieren werde „wie Festnetz-Telefone“.
Diese Einschätzung teilt auch Medienwissenschaftler Kramp. „Das eine behindert das andere nicht“, sagt er. „Wir reden in dieser Sache nicht von Verdrängung, sondern von Ergänzung.“ Video-on-Demand-Anbieter seien derzeit noch nicht über alle Altersgruppen hinweg in der Lage, Zuschauer an sich zu binden. „Es wird noch eine Zeit dauern, bis es so weit ist“, sagt Kramp.
Seit September 2014 ist Netflix in Deutschland verfügbar. Die Abonnentenzahl schätzt das Portal Statista auf etwa 1,2 Millionen. Netflix selbst will dazu keine Angaben machen. „Die Anbieter lassen sich nicht gern in die Karten beziehungsweise die Nutzerstatistiken schauen“, sagt Kramp.„Wie hoch die Abrufzahlen tatsächlich sind, lässt sich nicht verlässlich überprüfen.“ Anders als beim klassischen Fernsehen gibt es bei Video-on-Demand keine Einschaltquoten-Messung.
Auch wenn Netflix-Abos noch in diesem Jahr nahezu weltweit verfügbar sein werden, unterscheiden sich die Inhalte aufgrund komplexer Lizenzierungen von Land zu Land. In Deutschland etwa durfte Netflix die neueste Staffel seiner selbst produzierten Serie „House of Cards“ zunächst nicht ausstrahlen, weil das Unternehmen die Rechte für die Erstausstrahlung bereits an den TV-Sender Sky verkauft hatte. Laut Hastings wird es fünf bis zehn Jahre dauern, bis alle Serien und Filme von Netflix weltweit verfügbar sein werden.
Netflix plant deutsche Serie
„Auch dann werden wir aber nicht erleben, dass alle dieselben Produktionen schauen“, sagt Leif Kramp. Die Vermarktung von überwiegend amerikanischen Produktionen werde zwar andauern, „kulturelle Spezifika werden aber nicht einfach verschwinden“, sagt er. „Auch in Zukunft wird die regionale Mediensozialisation von Nutzern eine wichtige Rolle spielen.“
Netflix setzt auch 2016 weiter auf Eigenproduktionen: Fünf Milliarden Dollar will das Unternehmen in neue Titel investieren. 31 selbst produzierte TV-Serien und zehn eigene Spielfilme sind geplant. Darunter wird auch eine erste eigene Serie aus Deutschland sein. „Wir sehen uns nach einer Sendung um, haben aber noch nicht das Richtige gefunden“, sagte Hastings.
Die Netflix-Produktion „Making a Murderer“ ist schon jetzt ein voller Erfolg. Sogar das Weiße Haus befasste sich schon mit der „True Crime“-Serie: Mehr als 419 000 Unterzeichner einer Online-Petition forderten die Begnadigung Averys. Die US-Regierung veröffentlichte daraufhin eine Stellungnahme. Präsident Barack Obama habe rein rechtlich nicht die Macht, eine Begnadigung auszusprechen, hieß es.
Trotz des Erfolgs wird es für Netflix und Co. auf Dauer schwierig werden, zu immer neuen Höhenflügen anzusetzen. „Fernsehen bleibt ein hartes und kostspieliges Geschäft“, sagt Kramp. Das gelte für lineares Fernsehen und für Video-on-Demand.
Video-on-Demand
◼Video-on-Demand („Video auf Anforderung“) beschreibt die Möglichkeit, Video-Inhalte via Streaming auf dem Fernseher, Laptop, Smartphone oder Tablet anzusehen. Amazon (49 Euro pro Jahr), Netflix (ab 7,99 Euro monatlich) und Maxdome (8,99 Euro im Monat) haben die meisten Abonnenten.
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