Schutzgebiete in Laubwäldern tragen nicht zwangsläufig zur Förderung der biologischen Vielfalt bei Mehr Wild, weniger Baumarten

Indem er Häuser und Straßen baut, Flüsse kanalisiert, Äcker anlegt und Wälder bewirtschaftet, greift der Mensch in natürliche Abläufe ein. Die Einrichtung von Schutzgebieten soll helfen, negative Folgen, etwa für die Artenvielfalt, wettzumachen. Dabei ist allerdings keineswegs sicher, dass die gewünschten Wirkungen eintreten. Forscher zeigen dies jetzt am Beispiel von Wäldern.
09.12.2014, 00:00 Uhr
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Mehr Wild, weniger Baumarten
Von Jürgen Wendler

Indem er Häuser und Straßen baut, Flüsse kanalisiert, Äcker anlegt und Wälder bewirtschaftet, greift der Mensch in natürliche Abläufe ein. Die Einrichtung von Schutzgebieten soll helfen, negative Folgen, etwa für die Artenvielfalt, wettzumachen. Dabei ist allerdings keineswegs sicher, dass die gewünschten Wirkungen eintreten. Forscher zeigen dies jetzt am Beispiel von Wäldern.

Ökosysteme sind natürliche Einheiten, in denen Lebewesen und die unbelebte Natur zusammenwirken. Sie werden von Pflanzen geprägt, die Kohlendioxid aus der Luft verarbeiten und mithilfe der Photosynthese neues biologisches Material herstellen, von Tieren, die diese Pflanzen oder andere Tiere fressen, und von Mikroorganismen wie Bakterien, die die Überreste von Lebewesen zersetzen und so wieder für Pflanzen verfügbar machen. Das Zusammenspiel hält die Nährstoffkreisläufe in Gang und sorgt dafür, dass fruchtbare Böden geschaffen oder erhalten und Wasser und Luft gereinigt werden. Kurz gesagt: Am Funktionieren von Ökosystemen – seien es Seen, Flüsse, Meere, Moore, Wiesen oder Wälder – sind zahlreiche Arten beteiligt.

Deutschland ist zwar zu knapp einem Drittel von Wäldern bedeckt, aber diese können sich nur in Ausnahmefällen ungestört von menschlichen Einflüssen entwickeln. Im Interesse der biologischen Vielfalt, der sogenannten Biodiversität, gelten sich selbst überlassene Gebiete jedoch als wichtig. Deutschland verfolgt deshalb im Rahmen seiner Biodiversitätsstrategie das Ziel, dass sich im Jahr 2020 wieder zwei Prozent der Landesfläche nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln können. Laut Bundesamt für Naturschutz machen Wildnisgebiete zurzeit lediglich etwa ein halbes Prozent der Landesfläche aus.

Für Wälder sieht die Biodiversitätsstrategie vor, dass fünf Prozent geschützt, das heißt nicht wirtschaftlich genutzt werden sollen.

Eine Forschergruppe um Professor Ernst-Detlef Schulze vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena kommt in einer Studie, deren Ergebnisse im Fachjournal „Annals of Forest Research“ veröffentlicht worden sind, zu dem Schluss, dass es in Schutzgebieten sogar zu einem Verlust von Arten kommen könnte. Den Hintergrund bildet die Tatsache, dass sich Tiere aus der Familie der Hirsche, zu der auch die Rehe gehören, in geschützten Laubwäldern besonders stark vermehren. Das Wild frisst die jungen Baumtriebe. Die Wissenschaftler um Schulze berufen sich bei ihren Aussagen auf Untersuchungen von Tausenden Flächen in Thüringen und Rumänien. In Thüringen haben sie festgestellt, dass die Zahl der Baumarten um etwa 50 bis 60 Prozent abnimmt. In Rumänien seien es zehn bis 30 Prozent. Zu den Folgen gehört nach den Angaben der Experten unter anderem, dass sich die Zahl der Schmetterlingsarten deutlich verringert. Die Insekten benötigten als Nahrungsgrundlage Pflanzen. Meistens seien sie auf bestimmte Pflanzenarten spezialisiert.

Ökosysteme sind komplexe Wirkungsgefüge, und wer Arten schützen will, muss das Ganze im Blick haben, also sowohl die Pflanzen- als auch die Tierwelt. Die Forschergruppe um Schulze sieht darin eine wesentliche Botschaft ihrer Studie. Tiere wie Rehe können sich besonders stark vermehren, weil es an natürlichen Feinden fehlt. Zu den Raubtieren, die Rehe fressen, zählen zum Beispiel Wölfe und Luchse. In Rumänien gibt es zwar mehr Wölfe, Luchse oder auch Bären als anderswo, aber die Vermehrung von Vertretern der Familie der Hirsche erweist sich selbst dort als Problem für die Vielfalt der Baumarten, wie die Autoren der Studie erklären.

Indem Menschen Landschaften nach ihren Vorstellungen gestalten, verändern sie zugleich die Lebensbedingungen von Tieren wie Rehen oder Rothirschen. Wie die Deutsche Wildtier Stiftung erklärt, ist der Rothirsch – mit einer Länge von ungefähr zwei Metern das größte in Deutschland heimische Säugetier – von Natur aus in offenen Landschaften zu Hause. Aufgrund der dichten Besiedlung habe er sich zurückgezogen und sei zu einem Waldbewohner geworden. Während Rothirsche häufig weit mehr als 100 Kilogramm wiegen, haben Rehe oftmals ein Gewicht von ungefähr 20 Kilogramm. Rehe gelten als besonders anpassungsfähig. Sie sind in ganz Deutschland verbreitet und in Wäldern ebenso zu finden wie beispielsweise im Bereich von Flussauen oder auf abgeernteten Feldern.

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