
Landkreis. Musik schallt aus dem Ghettoblaster: Country-Rhythmen, unterbrochen von leidenschaftlichen Zwischenrufen à la "Jeahaa", "Jipiee" und "Jeahää!", durchdringen den Kellerraum der Bierdener Grundschule. Augenblicklich schieben sich diverse Werbefilme einer Zigarettenfirma aus den 1990er-Jahren vor das Auge. Da sind sie wieder: die weite Landschaft, die wilde Prärie und die ungestümen Pferde. Eine Fantasie in rot-flirrendem Licht der untergehenden Sonne der USA.
Trotz aller Wildheit erfordert das raue Leben strikte Regeln. Das wusste auch die damalige Werbebranche. Und wie die Wildpferde von raubeinigen Lassoschwingern mit weichem Kern gezähmt werden mussten, werden die Teilnehmer des abendlichen Kurses "Line-Dance" auf Linie gebracht. Es bedarf einer kontrollierten Führung der Beine, der Zurechtweisung der Füße und der stolzen Haltung eines Cowboys oder vielmehr eines Cowgirls. Schließlich übersteigt der prozentuale Anteil der Frauen bei weitem den der Männer. 16:1, an diesem Abend. "Ein Mann ist uns heute Abend abhanden gekommen", sagt eine Teilnehmerin. Ob der andere sich unwohl fühlt, angesichts der strammen Line-Dancerinnen? "Och, mir geht‘s gut. Ist eigentlich ganz schön", sagt der Herr mit weißem Schnauzer und Cowboy-Hut.
Zwischen Linie und Wand
Er ist nicht der einzige in Western-Montur: Jeans, Nietengürtel, kariertes Hemd und Cowboy-Hut tragen beinahe alle Tanzlehrlinge. Für die Profis sind Cowboystiefel und Wildlederweste mit Fransen Pflicht. Die Fransen baumeln im Takt, die Absätze der Stiefeletten klappern wie Hufe auf dem Boden.
Doch die Füße wollen nicht immer ganz so, wie es die Teilnehmer des Kurses wollen. Dabei gibt es in jedem Moment zwei simple Orientierungsmarken: Zum einen die "Linie", zum anderen die "Wand". Beides sollen sich die Line-Dance-Anwärterinnen und Anwärter in den Raum hinein imaginieren. Da ist die Reihe (Linie), in der sie in möglichst gleichen Abständen vor- und nebeneinander stehen. Neun Personen auf der einen Seite treten acht Personen auf der anderen Seite gegenüber.
Allerdings platzieren sich die Tänzerinnen und Tänzer so, dass sie beim Kreuzen der Reihen durch die ihnen gegenüberliegende Lücke hindurchtreten können – nicht ohne vorher noch in die Hände des Gegenübers einzuschlagen. "High five", hoch die Fünf, nennt sich das in Amerika. Und so klackern die Schuhe und klatschen die Hände, unterbrochen von den Schleifgeräuschen der Füße, die ihre Bahnen in festgelegten Bewegungen nach vorn, zurück und seitlich ziehen.
"Sieben, acht, shuffle, links, rechter Fuß", ruft Trainerin Anke Beier. Man sieht förmlich den Staub der Steppe aufwirbeln, während sich die Teilnehmer ihre Sporen verdienen. "Zweimal acht pounds", fordert die Trainerin, und was für den Laien Wörter ohne Bedeutung sind, wandeln die Kursteilnehmer in Schrittfolgen um. "Das ist richtig Gehirnjogging", sagt eine Teilnehmerin. Und Beier fügt hinzu: "Das ist Schwerstarbeit sich im Raum zu bewegen und gleichzeitig die Richtung zu behalten." Eine andere Teilnehmerin jappst: "Das ist ganz schön schweißtreibend."
Angefangen hat alles 1952 mit einer US-amerikanischen Fernsehsendung. Darin wurde wöchentlich ein Line-Dance präsentiert. Weil alles Amerikanische in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg als modern und nachahmenswert verstanden wurde, schaffte es der Line-Dance auch in hiesige Gefilde. Unvergesslich wurde er mit John Travolta in Film Saturday Night Fever aus dem Jahr 1977. Als Freizeitsport ist der Line Dance in Deutschland seit 2002 anerkannt."Es gibt über einhundert Variationen des Tanzes", sagt Anke Beier.
Die Instruktorin Beier ist nicht, wie das in solchen Kursen sonst der Fall ist, eine Tanzlehrerin. Sie ist eine Trainerin. Das mag zum einen an der Nähe zur Cowboy-Mentalität liegen: Man lernt hier nicht, man trainiert. Die Bezeichnung "Trainerin" mag aber auch daher kommen, dass die TSV Bierden-Vereinsvorsitzende Katrin Bock gern "undercover im Fitness-Studios schnüffeln" geht, wie sie sagt. Bock sucht nach neuen Gesichtern für eine Kursleitung dort, wo bereits Kurse angeboten werden.
Trainerin Beier leitet jedoch nicht nur den Line-Dance Kurs: Gleich im Anschluss an die montägliche Veranstaltung eilt sie zum Gebäude nebenan. Dort gibt sie eine Zumba-Stunde, eine Art Aerobic kombiniert mit lateinamerikanischen Tänzen. "Zumba darf man nur mit spezieller Ausbildung machen. Alberto Perez, der Erfinder des Tanzes, hat da ein ganz strenges Patent drauf", sagt die Vereinsvorsitzende.
Nur warum ausgerechnet Line Dance in der niedersächsischen Tiefebene, die mit dem trockenen, heißen Süden der Vereinigten Staaten ungefähr so viel zu tun hat, wie die saftigen Marschwiesen mit der Serengeti? "Ich mag das schon immer", sagt Bock. Sie ist für die Auswahl der Kurse verantwortlich. In ihrer Freizeit übt sie Westernreiten im texanischen Stil.
"Manchmal schleichen sich auch ein, zwei Personen rein, die sich für den Kurs gar nicht angemeldet haben." Das sei generell kein Verbrechen. Häuft es sich, greift Bock ein. "Der Vereinsbeitrag kostet im Jahr 93 Euro. Günstiger geht es doch schon gar nicht", sagt sie.
Die Sehnsucht der Kursteilnehmer steigert sich mit jedem Kursabend. Einige von den Line-Dancern möchten die Tänze dort vorführen, wo sie entstanden sind: Im wilden Westen und mittleren Süden der USA. "Das wäre schon was, klar!", sagt eine junge Frau.
Als es darum geht, wer demnächst die eingeübten Schritte öffentlich vortanzen würde, schnellen die Arme nach oben. Die Trainerin zählt durch und mahnt: "Diejenigen, die sich jetzt gemeldet haben, kommen aber auch!" Da ist sie wieder: die Regel, die trotz aller Wildheit eingehalten werden muss. Nicht, dass es am Ende noch mit den Tänzern durchgeht.
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