
Wenn er das Podest betritt, wirkt er beinahe wie ein Abiturient; bescheiden, fast ein wenig schüchtern nimmt er seinen Applaus entgegen. Doch sowie Fabian Müller die Tasten anschlägt, hört man den Meister. Mit selbstverständlicher Leichtigkeit präsentiert er technische und dynamische Perfektion. Tiefe und Brillanz seiner Farben werden von intuitiver stilistischer Zielsicherheit begleitet, wie man sie bei einem 28-Jährigen kaum erwarten darf.
Das Programm für das Abschlusskonzert der Reihe „Klassik im Schloss“ überzeugte ebenso wie dessen Interpret. Die Gegenüberstellung früher und sehr später Werke von Johannes Brahms zeigte dem Publikum eindrucksvoll die Entwicklung vom „Jungen Wilden“ voller Visionen zum abgeklärten Meister entsagungsvoller Weisheit. Die „Vier Balladen“ op. 10 entstanden im Jahr 1852, die „Intermezzi“ op. 117 stammen aus dem Jahr 1890, und er selbst bezeichnete sie als „Wiegenlieder meiner Schmerzen“. Zwischen Beethovens „Bagatellen“ op.33 und der 1805 fertig gestellten Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll „Appassionata“ lägen dagegen nur vier Jahre, erläuterte Johannes Mnich, musikalischer Leiter der „Klassik im Schloss“, und dennoch sei hier überdeutlich die Zäsur zu erkennen, an der sich aus jungem, leidenschaftlichem Schöpferdrang der monumentale Genius entwickelt, der, so Mnich, „die Musik neu erfand“.
Die vier Balladen sind durch große Variationsbreite der Empfindung geprägt. Die erste des Zyklus‘, Herders düsterer Ballade „Edward“ nachempfunden, malte dessen bedrängende Seelennot, und nach einer gewaltigen dynamischen Steigerung bis zum Wahnsinn hörte man das beinahe zusammenbrechende, gegen den Rhythmus pochende Herz. Innerlich und sehnsüchtig, dann im Mittelteil geradezu grob auffahrend war die zweite, in plötzlich aufbrandender atemloser Dramatik und ihrem ebenso spontanen Abebben die dritte Ballade gestaltet. Eindrucksvoll verstand es Müller, den tastenden und fragenden Gestus des geradezu visionären vierten Stückes herauszuarbeiten, so dass es mit seinen harmonisch changierenden, sich überlagernden Achtel- und Triolenbewegungen unglaublich modern, ja geradezu impressionistisch wirkte.
Beethovens „Bagatellen“ präsentierten sich verspielt, übermütig bis zum Burlesken und mit bereits romantisch anmutendem Überschwang, und Müller konnte hier in Phrasierung und raffinierter Akzentuierung bestimmter Details seine fein dosierten eigenen Marken setzen. Am Ende der bis zur Verwegenheit ausgelassenen siebten Bagatelle gab es Bravo-Rufe aus dem Publikum.
Nach der Pause konnte der junge Meisterpianist dann ernstere, dunkle und introvertierte Register zur Geltung bringen. Auch jetzt verriet sein Mienenspiel nichts als äußerste Konzentration. Ideal traf er Brahms‘ in sich gekehrten, von sublimiertem Schmerz brennenden Tonfall. Und so wurden die drei „Intermezzi“, die, so Mnich, in ihrem Wesen tief romantische „Lieder ohne Worte“ sind, zu einem besonders kostbaren Moment, und mit Händen war zu greifen, wie sehr sie das Publikum bewegten. Nur die Intensität des musikalischen Ausdrucks ließ erkennen, dass sich der wesentliche Teil der „pianistischen Arbeit“ im Inneren abspielte – ein höchst erwünschter Kontrast zu der zwar technisch stets makellosen, doch musikalisch oft sehr sterilen, hingegen reichlich exaltiert dargebotenen „globalisierten“ Tastenkunst, die derzeit den Markt flutet.
Johannes Mnich stellte die „Appassionata“ op. 57 als „eine der herausragendsten Klaviersonaten überhaupt“ vor: Sie sei ein Gradmesser für Pianisten und zeige, ob man es mit Beethoven aufnehmen könne. Und das konnte Müller. Mit atemberaubender Virtuosität und Klangbrillanz machte er im Kopfsatz jeden einzelnen Ton hörbar und wob ihn zugleich in ein aufrüttelndes und fesselndes Ganzes. Das Andante gestaltete er mit sehr gutem Tempo und großer Geschlossenheit, indem er die Variationen nicht voneinander absetzte, sondern sie kunstvoll aneinander flocht und mit unnachahmlicher Poesie ausklingen ließ. Nach dem attacca anschließenden fantastischen Finale voll Feuer und wunderbar intelligenter Dynamik und Phrasierung sprangen viele Zuhörer vor Begeisterung von ihren Sitzen auf. Müller versprach nun eine „Zugabe mit deutlich weniger Noten“ und spielte die freche „Pantomime“ des 1926 geborenen Ungarn György Kurtág: ein Stück, dessen Name Programm und somit gänzlich lautlos ist. Nach diesem Spaß verabschiedete sich der sympathische junge Meister mit einer zärtlichen Interpretation des Brahms-Wiegenliedes von seinem hingerissenen Publikum.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.