
Der erste Patient, der in seiner Zeit in der Krankenpflegerausbildung starb – an ihn erinnert sich Niels Högel noch genau. Den damals noch jungen Lehrling nahm der Vorfall in Wilhelmshaven ziemlich mit, unter anderem auch, weil er einen engen Kontakt zur Frau des Patienten führte. „Das war damals sehr emotional und ging mir sehr nah“, erzählte Högel am jüngsten Prozesstag vor dem Landgericht Oldenburg in den Weser-Ems-Hallen. Er habe der Frau damals auf Nachfrage versichert, ihr Mann würde überleben. „Ich konnte das nicht beurteilen. Ich war wirklich überzeugt davon, dass er nicht stirbt“, sagte Högel. Danach habe er sich Vorwürfe gemacht, weil er der Frau falsche Hoffnungen gemacht hatte.
Und an eben jenen Patienten wurde der Krankenpfleger viele Jahre später erinnert, als er im Delmenhorster Klinikum tätig war und schon zahlreiche Menschen durch das Injizieren von Herzmedikamenten getötet hatte. Denn es wurde der Patient Heinrich B. eingeliefert, der zufällig genau den gleichen Namen hatte wie sein erster verstorbener Patient. Heinrich B. starb am 28. Dezember 2003, nachdem Högel ihm den Wirkstoff Ajmalin spritzte. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann bezeichnete es als beinahe schon zynisch, dass Högel eben jenen Patienten als sein nächstes Opfer auswählte, der denselben Namen hatte wie sein erster verstorbener Patient, in dessen Fall er so emotional reagiert habe: „Da steht die Emotionalität diametral gegenüber einer solchen Kälte.“
Es waren solche besonderen Umstände, unter denen sich Niels Högel an seine Taten erinnern konnte. 32 Fälle in seiner Zeit am Delmenhorster Krankenhaus sind am Dienstag vor Gericht besprochen worden, aber nur in zehn Fällen konnte sich Högel auch an die entsprechende Tat erinnern. Eine Tat schloss der Angeklagte sogar ganz aus: Im Fall von Adnan T., der am 15. Juni 2004 im Klinikum verstarb und in der Türkei beigesetzt wurde, konnte nachträglich Lidocain nachgewiesen werden. Dennoch betonte Högel im Prozess gleich mehrfach: „Eine Manipulation meinerseits kann ich ausschließen.“
Er erinnere sich noch an den Patienten, der einen speziellen Verband bekam, und daran, dass sich Högel gegenüber Kollegen bewundernd über den familiären Zusammenhalt von Adnan T. ausgesprochen habe. Der Fall ist auch deswegen so knifflig, weil das Lidocain in der Haarwurzel des Mannes festgestellt wurde. „Die Frage ist, ob das Lidocain schon länger im Körper war oder nahe zum Todeszeitpunkt verabreicht wurde“, sagte Bührmann. Ausgeschlossen werden konnte es nicht, schließlich kam es zur Anklage. „Dennoch ist das ein Fragezeichen mehr“, bemerkte der Richter.
Dass sich Högel an einige Fälle erinnern konnte, hing manchmal auch mit ganz banalen Dingen zusammen. Wie etwa der Tatsache, dass eine Kollegin in der Schicht am 24. Oktober 2003 eine Brokkoli-Torte mitgebracht hatte, die sie gemeinsam in einem leer stehenden Patientenzimmer beim Fernsehen aßen. Kurz danach spritzte er dem Patienten Fredo F. den Wirkstoff Ajmalin. Im Fall von Erna T. vom 2. März 2004 war es eine ungewöhnliche Konstellation von Kollegen, die in der Schicht Dienst hatte. Oft war es auch eine ungewöhnliche Behandlungsmethode, die Högel im Kopf behielt. In einem Fall vom 21. Juli 2004 war es die kurz vorher stattgefundene Geburt seiner Tochter und die dadurch ausgelösten Euphoriegefühle, durch die er sich an seine Tat erinnern konnte. „Ich wollte dieses Gefühl möglichst lange aufrechterhalten“, erklärte er, warum er zur Spritze gegriffen hatte. Als die Reanimation des Patienten schief ging, habe ihm das einen Dämpfer verpasst.
Manchmal war auch eine außergewöhnliche Reaktion eines Mitarbeiters ausschlaggebend für seine Erinnerung, wie im Fall des Patienten Alfred M., dem er am 27. August 2003 Sotalol verabreichte. An dem Tag hatte er mit einem anderen Pfleger Dienst, mit dem er zusammen reanimierte. „Er war danach extrem niedergeschlagen. Es hat ihn mehr getroffen, als ich erwartet hätte“, schilderte Högel den Vorfall. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob die Reaktion des Kollegen etwas in ihm ausgelöst habe, antwortete er: „Es tat mir schon leid, aber den Gedanken, es zu stoppen, hatte ich nicht. Das konnte ich voneinander trennen.“ Mit dem Kollegen hatte Högel auch am 28. August 2003 Dienst, als er Peter E. eine tödliche Injektion verabreichte.
Högel räumte im Laufe des Dienstages auch ein, Patienten verschiedene Mittel gespritzt zu haben, wenn diese auf die erste Injektion keine Reaktion zeigten. Einem bestimmten Fall konnte er das Vorgehen aber nicht zuordnen. Zwischen zehn und 20 Mal habe er das gemacht, schätzte Högel. Genau sagen könne er es aber nicht. „Es passierte nicht oft, dass die erste Injektion nicht wirkte“, sagte er. In solchen Fällen sei er einige Stunden später erneut in das Patientenzimmer gegangen und habe ein anderes Medikament gespritzt. So konnte etwa bei Walter W., der am 22. Juni 2003 verstarb, sowohl der Wirkstoff Ajmalin als auch Lidocain nachgewiesen werden.
An einen weiteren Fall am 31. August 2003 erinnerte sich Högel dagegen, weil es bereits bei der Aufnahme des Patienten Johann J. hektisch zugegangen sei. „Er hatte einen Grand-mal-Anfall, der medikamentös erst gar nicht zu durchbrechen war“, erzählte Högel. Er wartete nicht, bis er mit dem Mann alleine war, sondern nutzte den unübersichtlichen Trubel direkt aus, um ihm Lidocain zu spritzen – umringt von seinen Kollegen. „Weil es so hektisch war, hat keiner darauf geachtet“, bemerkte er. Eine ähnliche Situation nutzte Högel auch am 23. Oktober 2003 aus, als die Patientin Elfriede K. in schlechtem Zustand auf die Intensivstation gebracht wurde. Auch sie verstarb, nachdem er ihr direkt bei der Aufnahme eine tödliche Injektion spritzte. Und auch im Fall von Udo J. am 12. Mai 2004 wurde Högel bereits während der Aufnahme tätig. Auf die Frage von Bührmann, ob ihm die Situationen im Beisein seiner Kollegen einen besonderen Kick verschafft hätten, erwiderte Högel: „Nein, aber ich war zum einen abgestumpft und zum anderen habe ich es auch herausgefordert. In Delmenhorst habe ich zum Schluss alles nur noch sehr verschleiert wahrgenommen. Ich wollte erwischt werden.“
Wieso er nicht einfach aufhörte, wenn er erwischt werden wollte, konnte Högel nicht erklären: „Ich weiß es nicht genau, ich habe mir die Frage auch schon oft gestellt. Ich war einfach nicht in der Lage aufzuhören. Ich war wie in einer Tunnelsituation, das ist schwer zu beschreiben. Fakt ist, ich habe einfach weitergemacht.“
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