Es war der Versuch einer Annäherung, einer geglückten Annäherung. So sehen es die Pflegeeltern von Saskia* im Rückblick. Und so sieht es auch Saskia selbst, die nach zweieinhalb Jahren demnächst aus ihrer Pflegefamilie ausziehen wird.
Es gibt Begegnungen, die das Leben verändern. Schicksalhaft teilen sie das Leben in eine Zeit davor und in eine Zeit danach. Saskia, gerade 19 geworden, hat es mit ihren Pflegeeltern erlebt. Ihre Geschichte beginnt mit dem ersten Zusammentreffen im Sommer 2011. Das Osterholzer Jugendamt hat der damals 16-jährigen Saskia nahegelegt, sich mit ihrer gerade einjährigen Tochter Liana bei Anke M. und ihrem Mann Scheslav V. in Schwanewede zu treffen. Vielleicht, so hoffen die Beteiligten, klappt es und die Chemie stimmt.
Die Pflegeeltern aus dem Westkreis – er Glaser, sie Hausfrau – sind bereit. Sie haben schon mehrere Kinder und Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleitet; die drei leiblichen Kinder sind inzwischen aus dem Haus. Angefangen hatten sie vor Jahren mit dem Freund ihres zweiten eigenen Kindes. Anke hat seither auch für einen Bremer Patenschaftsverein gearbeitet, der Jugendlichen stundenweise oder länger, wie sie sagt, „einen ruhigen Raum“ bietet. Saskia kennt ihrerseits die Schilderungen einer Bekannten aus einem Mutter-Kind-Heim; dahin will sie nicht. Sie wünscht sich ein familiäres Umfeld. Als Zwölfjährige hat sie schon einmal in einer anderen Pflegefamilie gelebt. Die Beziehung zu dem sechs Jahre älteren Vater ihrer kleinen Tochter ist in die Brüche gegangen, kaum dass Liana auf der Welt war. „Wir haben erst zusammen gewohnt, inzwischen ist er aus Norddeutschland weggezogen“, erzählt die junge Frau.
Nach ihrer Trennung ist Saskia mit Liana zunächst bei den eigenen Eltern untergekommen. „Aber das war für mich keine Situation, in der meine Tochter aufwachsen soll.“ Mehr will sie dazu nicht sagen, Kontakt zu ihren Eltern habe sie nur sporadisch. Wegen der Schwangerschaft ist das Kreis-Jugendamt erneut in Saskias Leben getreten; bei minderjährigen Eltern sieht das Sorgerecht dies grundsätzlich so vor.
Es wird eine denkwürdige Begegnung – im Beisein von Brigitte Neuner-Krämer. Die Sozialpädagogin schult, vermittelt und begleitet fürs Jugendamt Adoptiv- und Pflegeeltern sowie deren Kinder. Mit klopfendem Herzen sitzt sie in Schwanewede, hat mehr Fragen im Kopf, als ausgesprochen werden können. Dies also soll sie sein, die Chance des Lebens.
Anke wird rückblickend von einer behutsamen Annäherung sprechen; Saskia findet, sie sei sehr offen empfangen worden. Gemessen an ihrer Vorgeschichte sei das erste Treffen geradezu entspannt gewesen. Erst recht, als man sich danach ein zweites Mal ohne Neuner-Krämer trifft. „Das war in einem Eiscafé in Osterholz-Scharmbeck“, sagen Anke und Saskia fast wie aus einem Munde.
Der weitere Weg ist nicht frei von Auseinandersetzungen. Anke wird nicht müde, die junge Mutter auch an ihre Verantwortung für das kleine Kind zu erinnern. „Das habe ich ihr klar gesagt, und das hat dann auch zu Konflikten geführt“, sinniert die Pflegemutter. Das Wissen, wie man ein Kind groß zieht – woher soll es auch kommen. Es geht, antwortet Anke sich selbst, über das alltägliche Miteinander. „Die Liebe der Mutter zum Kind ist ja da.“ Darauf lasse sich aufbauen. In einigen Punkten des Zusammenlebens dulde sie eben keine Kompromisse, sagt Anke von sich; und Scheslav ergänzt: „Es ist ein Balanceakt: Junge Leute wollen schließlich auch mal in die Disko gehen.“ Auch diese Freiräume hätten sich letztlich positiv auf das Verhältnis von Saskia zu ihrer Tochter ausgewirkt. Am Anfang, so die Pflegeeltern, hätten sie viel Widerstand und Aggressionen gespürt. Beziehungsarbeit, ein Zusammenraufen. Die Verständigung auf einen gemeinsamen geregelten Tagesablauf.
Zwei Jahre lang geht Saskia seit jener ersten Begegnung zur Berufsschule, kümmert sich nachmittags um Liana, die ihren Pflegeeltern in dieser Zeit besonders ans Herz wächst. Aus den Konflikten lernt Anke, dass sie sich nicht zwischen Saskia und deren Tochter drängen darf. „Die Achtung vor der Mutter ist das A und O.“
Ihre mittlerweile volljährige Pflegetochter sagt, sie habe bei Anke und Scheslav enorm viel fürs Leben gelernt. Anfangs habe sie vor allem an sich selbst gedacht, an den eigenen Spaß. „Inzwischen mache ich praktisch alles anders als früher – vor allem im Umgang mit Liana.“ Die Dreijährige geht seit August in den Kindergarten, und wenn Saskia montags zum Tanzen geht, nimmt sie die Kleine eben mit; donnerstags sind beide gemeinsam beim Eltern-Kind-Turnen, alles (fast) ganz normal.
Saskia möchte Altenpflegerin werden, macht im Oktober ein Praktikum. Wenn sie im Januar 2014 die Ausbildung in Osterholz-Scharmbeck beginnt, fängt ein neuer Lebensabschnitt für die 19-Jährige an. Die Zeit des Auszugs naht, die Wohnungssuche läuft bereits. „Ich wünsche mir, dass sie in der Nähe bleibt“, sagt Scheslav nachdenklich. Liana habe sich so gut im Kindergarten eingelebt. Natürlich könne sich Saskia auch weiterhin Rat und Hilfe holen.
„Am Anfang war es wichtig, dass sich alle vier auf das Abenteuer eingelassen haben“, sagt Brigitte Neuner-Krämer. Jetzt werde es darauf ankommen, dass alle vier das Tempo der Abnabelung mitgehen können. Der Auszug aus einem Mutter-Kind-Heim aber an dieser Stelle wäre wohl abrupter. „Noch länger hier zu bleiben wäre schon okay, aber die eigenen vier Wände haben auch was“, tröstet sich Saskia.
Pflegegeld haben Anke und Scheslav bis November bewilligt bekommen. „Meine Motivation ist bestimmt nicht materiell, aber unentgeltlich würde ich es auch nicht machen“, betont die Pflegemutter ungefragt. Es sei „eine schöne, dankbare Aufgabe.“ Reich werden könne man damit nicht. Sie wünsche sich, dass mehr Jugendliche von sich aus das Jugendamt um Hilfe bitten, wenn es für sie in der Ursprungsfamilie partout nicht mehr geht. Beim Jugendamt weiß man, dass Pflegeeltern wie die in Schwanewede durchaus selten sind.
* Namen sind der Redaktion bekannt
Hilfe des Jugendamts zielt auf Stabilisierung
Wenn ein Pflegekind in eine Pflegefamilie kommt, kann das verschiedene Ursachen haben: Die Eltern können wegen eines Todesfalls, eines Unfalls oder einer schweren Krankheit ihr Kind nicht mehr versorgen. Oder sie geraten durch Umstände wie Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit in eine schwere Krise. Oder sie sind mit dem Alltag überfordert, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie verlässliche Eltern sein können. Das Jugendamt prüft und gewährt in diesen Fällen Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie mit dem Ziel, dass Eltern ihr Kind wieder selbst versorgen können.
Wenn die ambulante sozialpädagogische Hilfe nicht greift, kann die Suche nach einer geeigneten Pflegefamilie helfen, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Bei schneller und direkter Inobhutnahme findet das Kind zunächst Unterkunft in einer Bereitschaftspflegestelle oder Heimgruppe. Sind die Eltern damit nicht einverstanden, muss sich das Amt seine Entscheidung durchs Familiengericht absegnen lassen.
Entscheidend vor der Aufnahme in eine Pflegefamilie ist unter anderem, dass eine Rückkehr zur Herkunftsfamilie unwahrscheinlich ist, dass das Kind familiäre Nähe vertragen und sich auf Menschen einlassen kann. Je nach den Bedürfnissen des Kindes kann dann die Suche nach einer passenden Pflegefamilie beginnen.
Beim Landkreis Osterholz kümmern sich darum Brigitte Neuner-Krämer (04791/ 930562) und Doris Kück (04791/930569). Informationen im Internet unter www.landkreis-osterholz.de/unser-landkreis/kreisverwaltung/aemter, Verzeichnis Jugendamt, Menüpunkt Dienstleistungen, Stichwort Pflegekinder. Dort wird auch verlinkt auf die Arbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (www.unterstuetzung-die-ankommt.de).
(BKO)