
Herr Wöhlmann, wie viele Flüchtlinge aus Bremen-Nord haben sich in diesem Jahr bei Ihnen arbeitssuchend gemeldet?
Volker Wöhlmann: Im April 2018 waren insgesamt 1797 Flüchtlinge in Bremen-Nord arbeitssuchend gemeldet. Wobei sich die Zahl nicht nur auf Geflüchtete aus Syrien bezieht, sondern auf alle acht nicht europäischen Asylherkunftsstaaten. In ganz Bremen haben wir 8299 Flüchtlinge, die arbeitssuchend gemeldet sind.
Wie hoch ist der Anteil der Flüchtlinge, die bereits zwölf Monate und länger arbeitslos gemeldet sind?
Volker Wöhlmann: Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund, die von 24 Monaten 21 Monate und länger Leistungen bezogen haben, liegt bei über 50 Prozent.
Welche Herausforderungen gibt es heute bei der Vermittlung von Flüchtlingen?
Volker Wöhlmann: Die Sprache ist das A und O. Die Kunden müssen so schnell wie möglich die Sprache erlernen. Die Kinder kommen hier sehr schnell an, aber die Eltern tun sich deutlich schwerer. Für eine Integration spielt neben der Sprache auch das „Ankommen“ eine große Rolle: Bringe ich Traumata, Sorge um andere Verwandte mit her – oder kann ich mich sozial hier integrieren und gut im Alltag zurechtfinden? Wir sind sehr daran interessiert, dass vor allem junge Menschen eine qualifizierte, anerkannte Ausbildung bekommen, um langfristig eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Die Integrationszahlen sind zwar im Verhältnis noch gering, aber wir sind dabei, diese zu steigern, weil die ersten Flüchtlinge jetzt aus den Deutschkursen zurückkehren. Zudem ist der Arbeitsmarkt nicht schlecht. In Bremen haben wir rund 5600 offene Stellen, gerade im Helferbereich bieten sich viele Möglichkeiten.
Wie viele Geflüchtete haben Sie 2017 vermittelt?
Volker Wöhlmann: 2017 haben 136 Menschen Arbeit aufgenommen, 53 Prozent davon sind Männer, 47 Prozent Frauen, wobei der Anteil weiter kippt, weil die Familien nachkommen. 126 Menschen konnten in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden und zehn haben eine Ausbildung angefangen.
Gibt es Bereiche, in die sie Flüchtlinge besonders häufig vermitteln?
Thomas Geisler: Zu einem Drittel gehen die Flüchtlinge in Zeitarbeitsfirmen. Der Anteil ist aber nicht größer als bei den übrigen Leistungsbeziehern. Ansonsten ist produzierendes Gewerbe dabei und das Gastgewerbe.
Volker Wöhlmann: Wir haben zum Beispiel einen jungen Mann, der jetzt in Farge in einem Hotel eine Ausbildung als Koch macht.
Die CDU hat gerade Kritik an der Arbeitsmarkt-Integration geübt. Wie zufrieden können Sie mit den Zahlen sein?
Volker Wöhlmann: Ich kann bei der Anzahl noch nicht zufrieden sein, aber die Anzahl derjenigen, die wir vermittelt haben, hat sich im Vergleich zu 2016 verdreifacht. Jetzt haben wir wieder eine kleine Steigerung im April. Wir haben mehr Integrationen als letztes Jahr. Und es wird 2018 noch mehr werden. Aber wir müssen sehen, dass wir die Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit kriegen. Das ist das Problem, das müssen wir aufknacken. Unser Problem ist auch, dass, wenn jemand für 450 Euro arbeitet, er sich hier nicht abmelden kann. Das ist insgesamt auf dem Arbeitsmarkt ein Problem, dass die Arbeit nicht auskömmlich ist, aber bei den Flüchtlingen tritt das verstärkt auf.
Inwiefern?
Volker Wöhlmann: Wenn jemand bereits eine Teilzeitbeschäftigung hat und dort glücklich ist, dann ist es schwer, ihn zu überzeugen, sich auf eine andere Stelle zu bewerben. Ich glaube, dass Arbeitgeber umdenken müssen, wenn sie qualifizierte Fachkräfte wollen. Sie müssen bereit sein, auch Kräfte einzustellen, die noch Defizite haben. Wir können dann mit unseren verschiedenen Fördermöglichkeiten gut unterstützen. Viele Menschen, die von den Papieren her aussortiert würden, haben nur dann eine Chance, wenn Sie im persönlichen Gespräch überzeugen können. Arbeitgeber müssen künftig auch mehr auf die Sondersituation von Alleinerziehenden eingehen. Wenn der Arbeitgeber verlangt, dass eine Alleinerziehende alle Schichten mitmacht, kann es nicht klappen. Wir haben einen Fachkräftemangel, aber wir haben auch stille Reserven, die wir mobilisieren könnten. Wir haben seit ein paar Monaten hier in Bremen-Nord einen Arbeitgeberservice vor Ort. Fünf Kolleginnen und Kollegen kümmern sich um die Anliegen der Arbeitgeber. Ich kann nur alle Arbeitgeber, die Personal suchen, einladen, sich direkt dorthin zu wenden.
Wie häufig kommt es vor, dass Flüchtlinge nicht vermittelt werden, weil Zeugnisse fehlen oder nicht anerkannt werden?
Volker Wöhlmann: Das kommt nur in Einzelfällen vor. Was eher ein Problem und auch erschreckend ist, dass von 1281 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern in Bremen-Nord nur 30 von uns als marktnah gekennzeichnet sind. Übersetzt heißt das, von 1281 haben 259 keinen Schulabschluss und 1120 keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist das, wo es am meisten hapert. Das sind die Hemmnisse.
Es hieß doch, dass zu Beginn viele Akademiker aus Syrien gekommen sind…
Volker Wöhlmann: Die Akademiker, die hergekommen sind, waren vernetzt und hatten alle einen Plan – bis hin zu einem Praktikumsplatz. Diese Leute haben wir zielgerichtet begleitet. Der Akademikeranteil war in Vegesack aber nicht so groß, wie man hätte vermuten können.
Wie viele Nordbremer Flüchtlinge stecken in Förderprogrammen?
Volker Wöhlmann: Da kann ich Ihnen leider keine konkreten Zahlen nennen. Die Maßnahmeangebote sind vielschichtig. Viele Maßnahmen, die in Vegesack zum Beispiel im Arbeit- und Lernzentrum (ALZ) laufen, sind mit Flüchtlingen oder Frauen und Männern mit Migrationshintergrund besetzt. Es gibt 20 Plätze in der Schneiderei. Außerdem haben wir 15 Plätze in der Kreativwerkstatt in der Grohner Düne anzubieten. Weitere Angebote gibt es im Orientierungszentrum für Geflüchtete mit aktuell noch 120 Plätzen.
Zurück zu Sprachproblemen. Nicht einmal die Hälfte der Geflüchteten hat 2017 den Deutschtest im Integrationskursus bestanden. Kontrollieren Sie die Teilnahme an den Kursen?
Thomas Geisler: Die Träger der Integrationskurse stellen Teilnahmebescheinigungen aus. Dabei wird ein erreichtes Sprachniveau angegeben. Es ist leider so, dass nur wenige nach Abschluss der Kurse ein Sprachniveau erreichen, welches für eine Arbeitsaufnahme oder Aufnahme einer Ausbildung nötig wäre. Wir haben insgesamt 14 Sprachkursträger mit Angeboten in Bremen-Nord. Die größten sind neben der VHS die Schule für Weiterbildung, die Wisoak, Tertia Berufsförderung und SBH Nord. Wer nicht an den Eingliederungsmaßnahmen teilnimmt, riskiert Sanktionen. Es werden 30 Prozent vom Regelsatz einbehalten. Das macht bei 419 Euro rund 100 Euro im Monat aus. Ein Problem bei den Integrationskursen ist, dass der Träger mit uns abrechnen darf, auch, wenn der Teilnehmer nur einen einzigen Tag teilgenommen hat. Das ist vom Gesetzgeber so geregelt.
Dann stellen Sie also erst am Ende des Kurses fest, wenn ein Flüchtling nicht oder ganz selten am Sprachkursus teilgenommen hat?
Volker Wöhlmann: Früher war das vielleicht tatsächlich mal so. Heute wird es von den Trägern frühzeitig mitgeteilt. Wir stehen im engen Austausch mit den Trägern. Ob der Kunde wirklich da ist, kontrollieren wir aber nicht.
Inwiefern ist das Jobcenter in den Bamf-Skandal involviert?
Volker Wöhlmann: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist eine deutsche Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern (BMI) mit Sitz in Nürnberg. Sie ist unter anderem zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens und Entscheidungen über Asylanträge. Nun soll es hier in der Außenstelle in Bremen-Nord zu Unregelmäßigkeiten bei Asylentscheidungen gekommen sein. Ich möchte mich jedoch nicht an Spekulationen beteiligen. Das Jobcenter ist in die Prozesse nicht involviert.
Das Interview führte Patricia Brandt.
Volker Wöhlmann (55)
aus Schwanewede ist Geschäftsstellenleiter des Jobcenters an der Hermann-Fortmann-Straße.
Thomas Geisler (45)
ist Verwaltungswirt aus Osterholz-Scharmbeck und stellvertretender Geschäftsstellenleiter des Jobcenters in Vegesack.
Die Situation der Flüchtlinge
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge besteht ihren Deutschtest nicht. Die Zahl derjenigen, die in Jobs vermittelt werden können, ist gering. Es gibt zu wenig Wohnungen. Und die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlinge ehrenamtlich zu unterstützen, ist gesunken. 2015 hat unsere Redaktion Familien ein Jahr lang begleitet und miterlebt, wie sie in der neuen Heimat erste Erfahrungen gesammelt habe. Die Serie „Fluchtpunkte“ beleuchtet die Situation der Flüchtlinge in Bremen-Nord aus verschiedenen Perspektiven, um so ein Gesamtbild rund drei Jahre nach der Ankunft zu skizzieren. Es geht darum, welche Sorgen die Familien heute haben und was passieren muss, damit die Neuankömmlinge integriert werden können. Heute geht es um Jobs und Jobvermittlung.
Im Garten gibt es immer was zu tun. Unsere Redakteurin Patricia Brandt begleitet das Gartenjahr mit einem Augenzwinkern in ihrer Kolumne. Inzwischen ist die 100. WESER-KURIER-Gartenkolumnen erschienen. Sie schildert die Ängste und Sorgen des Hobbygärtners und nimmt Marotten auf die Schippe.
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