Delmenhorst. An der Friedensstraße müssen sich die Anwohner in den kommenden Monaten auf umfangreiche Bauarbeiten einstellen. Um den Generalentwässerungsplan der Stadt umzusetzen, werden die Stadtwerke (SWD) einen unterirdischen Stauraumkanal samt Entleerungspumpwerk bauen. Die Anwohner erhielten bereits Informationen, dass vom 11. Februar bis zum 30. August abschnittsweise Vollsperrungen der Straße erfolgen werden. Bei den Betroffenen löst das natürlich keine Begeisterung aus. In einer Unterschriftenaktion wenden sich schon über 100 Menschen gegen das Bauprojekt. Doch die Bürgerinitiative äußert auch ganz grundlegende Zweifel am Sinn der Bauarbeiten – und stößt damit in Teilen der Politik auf offene Ohren. Noch bevor die Bagger angerollt sind, kündigt Ratsfrau Eva Sassen von der Fraktion Bürgerforum/Freie Wähler/Unger an, sich für einen Baustopp stark zu machen.
Die Geister scheiden sich an der Frage, ob der Stauraumkanal der Entwässerung des Gebietes nützt – oder nicht. Die Stadtwerke machen in einer Erklärung deutlich, warum das Bauwerk aus ihrer Sicht notwendig ist: „Bei Starkregenereignissen wird das Wasser aus dem Stauraumkanal ins offene Gewässer abgeschlagen. Zudem dient der Kanal der Entlastung des Vorfluters und sorgt dafür, dass die dahinterliegenden Gebiete nicht überschwemmt werden.“ Ganz anders sieht das Tim Schmidt, der als Anwohner direkt von den Baumaßnahmen betroffen ist. Ein ausgewiesener Experte ist er nicht, jedoch hat er sich während seines Lehramtstudiums mit den Grundlagen von Geologie und Wassersystemen beschäftigt. In einer aufwendigen Eigenrecherche zeigt er auf, wie das Wasser bei Starkregen von einem Graben am Hebbelweg über Tümpel und Teiche letztlich in den Randgraben fließt. Auf diesem Weg wird das Wasser in Zukunft auch den neu errichteten Stauraumkanal passieren. Der Randgraben liegt nicht nur im Delmenhorster Stadtgebiet, sondern auch in der Gemeinde Ganderkesee. Auf landwirtschaftlichen Flächen sind zwar Überflutungsgebiete ausgewiesen. Doch auch die Häuser einiger Anwohner liegen dort.
Kritik der Anwohner
Für Schmidt ist der Bau des Stauraumkanals kontraproduktiv. Wenn das aufgestaute Wasser in großer Menge wieder in die Gräben abgelassen wird, könne es nicht ins Grundwasser versickern. Er sieht nach Starkregen also eine höhere Gefahr für Überflutungen.
Ein grundlegendes Problem mit dem Staukanal hat Ratsfrau Eva Sassen, die auch Vorsitzende des Umweltausschusses ist: „Ich halte nicht so viel von diesem Stauraum unter der Straße. Man muss so viel versickern lassen, wie möglich.“ Von Seiten der Stadtverwaltung höre sie immer wieder das Argument, dass ein hoher Grundwasserspiegel das Versickern verhindert. „Der trockene Sommer hat aber gezeigt, dass der Grundwasserspiegel auch sinken kann“, argumentiert Sassen.
Sassen plädiert stattdessen in ihren eigenen Worten für eine „ökologische Variante“. Man solle in Form von Auen und Teichen für natürliche Rückhaltebecken sorgen. Um die Möglichkeit solcher Varianten zu prüfen, will sie sich mit einem Antrag im Umweltausschuss nun für einen Baustopp stark machen. Dabei setzt sie auch auf die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Ganderkesee, namentlich mit Volker Schulz-Berendt, der in der Gemeinde dem Umweltausschuss vorsitzt.
Grenzfall der Politik
Denn das Bauvorhaben der Stadtwerke Delmenhorst ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Grenzfall. Das Grundstück einiger Anwohner der Friedensstraße liegt im Gebiet der Gemeinde Ganderkesee, die Straße gehört aber zu Delmenhorst. Die möglichen Auswirkungen auf den Randgraben betreffen dann aber eben auch das Gebiet der Gemeinde Ganderkesee. Das führt dann zu solch Konstellationen, dass Delmenhorster in der Bürgerfragestunde der Ganderkeseer Gremien nicht zu Wort kommen dürfen und umgekehrt. „Mit einer Zweidrittelmehrheit lässt sich das ändern“, erklärt Sassen.
Neben Zweifeln am Sinn und Zweck der Bauarbeiten äußert Tim Schmidt auch Kritik an der Informationspolitik der Stadtwerke. Insgesamt wandte er sich mit drei Fragekatalogen an den Bauträger, erhielt aber für ihn nur unbefriedigende Antworten. Die Stadtwerke erklären dazu: „Auf unsere Versuche, einen Kontakt herzustellen, wurde bedauerlicherweise nicht reagiert. Die Anwohner sind angeschrieben und darüber informiert worden, dass für die Baumaßnahme des Kanals keine Kosten auf sie zukommen.“
Schmidt stört auch ein Besuch, den die Stadtwerke den Anwohnern abstatten möchten. „Bei derartigen Bauvorhaben wird eine Beweissicherung potenziell betroffener Gebäude vor Beginn der Tiefbauarbeiten vorgenommen“, schreiben die Stadtwerke den Anwohnern per Post. Während der Außen- und Innenbesichtigung „vom Keller bis zum Spitzboden“ sollten vorhandene Schäden dokumentieren werden. „Das lehnen wir ab“, sagt Schmidt.
Neues Pumpwerk?
Der Randgraben droht auch aus einer anderen Richtung überlastet zu werden. Denn auch das geplante Neubaugebiet „Am Heidkamp“ benötigt für die Entwässerung den Graben. Der Stadtrat verabschiedete deshalb kurz vor Jahresende einen Antrag der SPD-Ratsfrau Annette Kolley, der sich um die Errichtung eines neuen Pumpwerks an der Hasberger Brake dreht.
Auch dabei wirkt sich die Grenze der Stadt Delmenhorst auf das politische Handeln aus. Die Stadtverwaltung verwies darauf, dass eine drohende Überflutung des Randgrabens eine Angelegenheit der Gemeinde Ganderkesee sei. Der Stadtrat erteilte trotzdem den Auftrag, sich diesem Problem anzunehmen. Letztlich ist es nun der Ochtumverband, der die Machbarkeitsstudie erstellen soll.