Der Goldene Anker ist eine Institution im Oldenburger Hafen. Seit mehr als 50 Jahren blinken dort die Lichter, und in der Bar mit dem Tresen und sechs Hockern davor hängt tatsächlich ein Anker, die Farbe: Gold. Hafen und Anker, das passt. Die Bar ist ein Sehnsuchtsort, der menschliche Wärme verspricht, mindestens aber Sex. Doch wie es scheint, ist es damit bald vorbei.
Das Haus, in dem die Prostituierten ihrem Geschäft nachgehen, soll abgerissen werden und einem Neubau weichen, verkauft ist es bereits. Die örtliche Presse hat darüber schale Witze gemacht: „Goldener Anker verkauft – Verkehr läuft weiter“, stand in der Überschrift. Oder so: „Bordell will Gläubiger befriedigen.“ Die Wirtin und ihre Angestellten werden darüber nicht lachen. Für sie ist an dem Ort kein Platz mehr.
Der Hafen bekommt ein völlig neues Gepräge, er wird konvertiert, wie die Fachleute sagen. So wie es im größeren Rahmen in Hamburg passiert ist, wo die Hafen-City mit teils spektakulären Bauten die Moderne markiert. Oder in Bremen, das mit seiner Überseestadt auf rund 300 Hektar eines der größten städtebaulichen Projekte Europas entwickelt. Seit 20 Jahren drehen sich dort die Kräne, ein regelrechter Bauboom, der noch lange anhalten wird.
Ein neues Quartier
Und jetzt Oldenburg. Wie in Hamburg und Bremen, ist der Hafen dort noch in Betrieb. Es gibt aber große Flächen, die frei geworden sind, zuletzt auf der Südseite des Beckens, wo Rhein-Umschlag bis vor drei Jahren Sand, Kies und Schotter verladen hat. Auf der Nordseite stand früher ein großer Schlachthof. Nach dem Abbruch der Gebäude war das Gebiet Niemandsland. Stehen geblieben sind damals lediglich vier Backsteinbauten, die heute als Büros und Wohnungen genutzt werden.
In den vergangen sechs Jahren ist aus der Brache ein neues Quartier geworden, mit Wasserlage und in Spazierweite zur Innenstadt. Die Häuser sind fast alle fertig, an den Straßen wird teilweise noch gebaut. Auf knapp 20 Hektar ist der Alte Stadthafen entstanden, wie Oldenburg das Viertel nennt. Es liegt zwischen den Gleisen der Bahn, die zum nahen Hauptbahnhof führen, und der Hunte. Den Fluss entlang führt der Stau, wie der Oldenburger Hafen früher hieß, benannt nach dem, was dort erledigt wird: Güter verstauen.

Großzügige Innenhöfe mit viel Grün öffnen sich hinter den Gebäuden.
Ein Mann, eine Familie, die den Hafen in der Hand hat und zusammen mit der Stadt die Entwicklung vorantreibt: Dirk Onnen mit seinen beiden Töchtern Lisa und Hanna. Der Unternehmer, 67 Jahre alt, hat früh erkannt, welches Potenzial in dem Gebiet schlummert. „Die Lage am Wasser, ist doch klar“, sagt der gebürtige Ostfriese. So klar nun aber auch wieder nicht, sonst hätte er starke Konkurrenz bekommen. Seine Firma Kubus Immobilien ist im Alten Stadthafen zwar nicht allein unterwegs, investiert aber mit Abstand am meisten. Bis heute sind es 200 Millionen Euro.
Onnen muss nur aus seinem Büro treten, einem bescheidenen Bau am Stau, und kann sofort sehen, was er geschaffen hat. Eine dichte Bebauung, so komprimiert wie in der Bremer Überseestadt. Mit dem Unterschied freilich, dass sich hinter den Gebäuden, die teils mit Büros, teils mit Wohnungen belegt sind, großzügige Innenhöfe auftun, viel Grün und Luft zum Atmen.
Seit April können die Bagger rollen
Kubus hat auf Wunsch der Stadt unterschiedliche Architekten beauftragt, damit es mit den Entwürfen nicht langweilig wird. Entstanden sind 350 Wohnungen und 18 000 Quadratmeter Bürofläche. Günstig kaufen oder mieten kann man im Alten Stadthafen nicht. Öffentliche Förderung gibt es keine. Der Mietpreis liegt nach Angaben von Onnen im Schnitt bei 10,50 Euro. „Unter zehn Euro ist im freien Wohnungsbau heute nichts mehr möglich“, sagt der Unternehmer.
Nach und nach bekam er damals die Grundstücke zusammen. Einen Teil von der Stadt, einen anderen von der Bahn, den dritten von der Raiffeisen-Warengenossenschaft. Onnen übernahm auch die übrig gebliebenen Häuser des Schlachthofs – und den Wasserturm direkt neben seinem Firmensitz. Er gehörte der Bahn, die mit dem Wasser Dampflokomotiven versorgte.
Heute steht der Turm unter Denkmalschutz und beherbergt ein Architekturbüro. Direkt daneben kann man regelmäßig ein Schauspiel bewundern, sobald das Signal da ist – die Eisenbahn-Rollklappbrücke, eine in Europa einmalige Konstruktion. Relikte, die den Hafencharakter bewahren. Der Goldene Anker gehört in Zukunft nicht mehr dazu.
Für Onnen geht es nun weiter, auf die andere Seite des Hafenbeckens. Im April hat die Stadt den Bebauungsplan für die gut drei Hektar große Fläche scharf gestellt, seitdem können die Bagger rollen. Kubus, das sich das gesamte Areal gesichert hat, will nach den Sommerferien anfangen und plant auch hier mit 350 Wohnungen. In drei Jahren sollen sie fertig sein. Hauptsächlich sind das Häuser mit fünf oder sechs Geschossen. Eines wird zwölf bekommen, es steht auf der Ecke, wo der Küstenkanal in die Hunte mündet. Das Hochhaus ragt in dem Ensemble noch aus einem anderen Grund heraus: Die Fassade bekommt Klinker aus dem Torfbrandofen, ein Verfahren, das den einzelnen Stein unverwechselbar macht, sehr rustikal. Der Ton changiert zwischen rot, blau und violett.
Geplant ist ein breiter Mix. Neben den Wohnungen sind das Pflegeeinrichtungen, eine Kindertagesstätte, betreutes Wohnen, Coworking und Gastronomie. Onnen schwebt auch Kultur vor: „Kleine Ateliers in einfachen und günstigen Holzhäusern.“ Als Beispiel fallen ihm die bunten Hummerbuden auf Helgoland ein. Gerne was Provisorisches, wünscht sich der Unternehmer: „Es muss nicht alles geleckt sein.“
Das Projekt trägt den Namen Havekant – noch eine Parallele zur Überseestadt, zumindest dem Namen nach. Die Bremer haben sich allerdings für die hochdeutsche Variante entschieden. Ihre Siedlung an der Weser, im hinteren Teil des Gebiets, wurde Hafenkante getauft, sie ist teils noch in Bau.
Ein Ort der Möglichkeiten
Havekant, so heißt auch das Boot drüben an der Pier. Onnen hat es gekauft, „das musste ich haben“, es gehörte für ihn quasi zum Gesamtpaket. Jetzt weiß er aber nicht mehr so recht, was er damit anfangen soll und bietet es spaßeshalber zum Kauf an: „Wollen Sie’s haben?“
Es gab mal mächtig Theater auf dem Gelände. Ein Trubel, der viel Publikum angelockt hat, Menschen, die den Hafen so noch gar nicht kannten, als einen Ort der Möglichkeiten. Das Oldenburger Staatstheater musste wegen Sanierungsarbeiten seine Spielstätte verlassen und wählte als Ausweichquartier das Südufer der Hunte. Vergangenes Jahr war das, ein großer Erfolg. Zelte, Wohnwagen, Buden, Grillplätze, alles da. Die Bühne für Konzert, Schauspiel und Musical stand im sogenannten Uferpalast. Kubus hat im Büro ein Modell, wie es auf dem Areal während der drei Monate ausgesehen hat. Der große, blaue Portalkran dort trägt immer noch die Aufschrift „Theaterhafen“.

Das Projekt trägt den Namen Havekant – noch eine Parallele zur Überseestadt.
Ein bisschen war es mit dem Kulturprojekt in Oldenburg wie mit dem Evangelischen Kirchentag vor zehn Jahren in Bremen. Viele Veranstaltungen fanden damals in der Überseestadt statt. Der Weg in den alten Hafen war für die meisten Besucher ungewohnt. Nun machten sie sich auf einmal klar, wie nahe das Quartier an der Innenstadt liegt, was sich bisher alles schon getan, und welche Chancen sich noch ergeben könnten.
Dirk Onnen, ein drahtiger Typ, der Jeans und Turnschuhe trägt, macht nicht den Eindruck, als ob es für ihn mit der Arbeit langsam mal gut sein könnte. Zusammen mit seinen Töchtern hat er zum Beispiel die Idee für Single-Wohnungen entwickelt, er nennt sie Kubox-Appartements. Drei Varianten – 30, 40 und 50 Quadratmeter – die jetzt auch im Oldenburger Hafen entstehen. Keine Flure, Einbaumöbel und niedrige Nebenkosten. Das ist der Ansatz. Was Bremen in der Überseestadt seit einigen Jahre mit dem Bau von öffentlich geförderten Wohnungen macht, bewerkstelligt Kubus mit der Wohnungsgröße: Billig wohnen im teuren Umfeld, soziale Mischung.