Kraftvoll treten die Sportschuhe des Radfahrers in die Pedalen. Eine Sekunde, ein Windstoß – und er ist vorbei. Es folgt ein Mann mit Aktentasche am Lenker, der die Strecke rhythmisch abarbeitet: links, rechts, links, rechts. Ihm entgegen kommen zwei kichernde junge Mädchen auf Inlineskatern. Nach Schätzungen des ADFC nutzen bei gutem Wetter täglich Tausende den Jan-Reiners-Weg, eine der Hauptradrouten in der Region für Freizeitaktivitäten, auf dem Weg zur Arbeit oder in die City. Doch diese gerät zunehmend in die Kritik: baulich, in Sachen Pflege, wegen fehlender Beleuchtung und unklarer Verkehrsregeln. Albrecht Genzel, Martin Enderle und Jason Mullarkey vom ADFC haben den Jan-Reiners-Weg in Lilienthal und Borgfeld unter die Lupe genommen.
Sie sind mit dem Fahrrad da: Albrecht Genzel (ADFC-Landesverband Bremen) mit seiner 20 Jahre alten Gazelle; der 68-jährige Enderle sitzt auf einem Utopia mit geblümten Rahmen. Mullarkey fährt ein praktisches, rotes Herrenrad. Die drei brechen vor dem Lilienthaler Sportzentrum Schoofmoor auf. Die Sonne scheint, die Räder rollen, sie fangen an zu huppeln. Und dann rutscht das Vorderrad in die abgesackte Mulde am Rand. Ich habe nicht aufgepasst und reiße das Lenkrad Richtung Wegmitte. Der erste Kritikpunkt: „Ja, man sucht beim Fahren die Ideallinie“, bestätigt Martin Enderle. Das Pflaster zu erneuern, sei „nicht akut, aber wünschenswert“.
200 Meter weiter folgt der erste Stopp. Der Verbindungsweg zum Moorhauser Brink stößt an dieser Stelle auf den Jan-Reiners-Weg. Wer hier wohl Vorfahrt hat, fragt Enderle. Keine Frage: „Wir auf dem breiteren Jan-Reiners-Weg“, tippe ich. Falsch. „Es gilt rechts vor links“, sagt Enderle. Im vergangenen Jahr waren hier zwei Radfahrer zusammengeprallt, weil beide dachten, sie hätten Vorfahrt. Schilder oder eine gestrichelte weiße Linie könnten die Lage eindeutig machen. Die Lilienthaler Gemeindeverwaltung aber sieht keine Notwendigkeit zu handeln, so Enderle. Einmündungen dieser Art gibt es bis zum Autobahnzubringer Horn einige.
Es bleibt nicht bei einer gefährlichen Stelle. Am Übergang Falkenberger Landstraße (Haltestelle Timkenweg) müssen Radfahrer sechs etwa fünf Zentimeter hohe Absätze bewältigen. „Eine Zumutung“, schimpft Enderle. Sein Vorschlag: die Hälfte der Bordsteine ebenerdig oder schräg bauen. „Komfortabel geht anders“, pflichtet ihm der Kollege aus Bremen bei. Unterwegs schränken zudem hohe Hecken die Sicht ein, wo die Straße Trupe kreuzt, sorgt ein rot-weißes Umlaufgitter dafür, dass Radfahrer in eine für Autofahrer nicht einzusehende Ecke wechseln. An der Ecke Bahnhofstraße/Truper Kirchweg sowie Am Pfarrland weicht der Radweg von der Geraden ab. „Vielen ist nicht klar, dass sie auf der Straße weiterfahren müssen“, kritisiert Enderle.

Wo der Timkenweg auf die Falkenberger Landstraße trifft, wird das Queren für Radfahrer wegen zu hoher Absätze ungemütlich.
Nächster Stopp: Edeka. Bekanntlich ist geplant, den Radweg um das neue Gebäude herum zu verlegen. Es werden vier Kurven entstehen, die beim ADFC schon jetzt wenig Sympathie wecken. Ein „eingeschränktes Lob“ gibt es indes an der Ampel Moorhauser Landstraße/Sassestraße für den radlerfreundlichen gelben Button und für die jüngst optimierte Ampelschaltung Lilienthaler Allee/Truperdeich. In Borgfeld lobt Genzel zunächst die tollen Wegweiser, fordert aber einen bedarfsgerechten Grünschnitt. „Im Dunkeln ist es gefährlich, wenn ein Ast in Kopfhöhe hängt.“ Den Antrag des Borgfelder Beirats, den Radweg umweltfreundlich zu beleuchten, unterstützt er. Lob erhält auch ein Vorschlag der Grünen, beim Borgfelder Deich eine Lufttankstelle mit Pannenstation zu schaffen. „Eine nette Idee für Touristen“, findet Genzel.
Experten fordern Verkehrsschilder
Das Fazit der Experten: Der Zustand des Radwegs in Lilienthal ist nicht komfortabel und das Fahren nicht sicher. Genzel nennt den Jan-Reiners-Weg eine „Magistrale, die an einigen Stellen aus- und umbaubedürftig wird“. Das sieht auch Enderle so: „Ich wünsche mir, dass in Lilienthal mehr am Jan-Reiners-Weg gemacht wird“, sagt er. „In Richtung Bremen hat sich mehr getan, in Lilienthal hat sich der Zustand eher verschlechtert.“ Der Weg müsse auf einem baulich akzeptablen Stand bleiben, das sei zurzeit nicht gegeben, kritisiert Enderle. Positiv hebt er die zügige Ampelschaltung an der Lilienthaler Allee/Trupe hervor. Beschnitten werde die Attraktivität des Jan-Reiners-Wegs allerdings durch unklare Wege- und Verkehrsregelungen. „Das muss sicherer, selbsterklärender werden“, fordert Enderle.

Unsinniges Hindernis: Die Experten kritisieren das Umlaufgitter zur Straße Trupe in Lilienthal. Radfahrer werden - wie diese Frau - an eine für Autofahrer schlecht einsehbare Ecke geleitet, heißt es.
Für den Borgfelder Abschnitt sieht Albrecht Genzel nicht ganz so viele Kritikpunkte. Der Verkehrsreferent des ADFC-Landesverbandes Bremen fordert vor allem eine durchgängige Beleuchtung und mehr Platz. „Der Jan-Reiners-Weg wird heute viel stärker genutzt als noch vor 20 Jahren, als es noch keine E-Bikes gab.“ Und der Radverkehr werde weiter zunehmen. Genzel warnt davor, das sich Fußgänger und Radfahrer künftig öfter in die Quere kommen könnten. Dass sie unterschiedliche Bedarfe haben, sieht man an diesem Nachmittag deutlich. Während zwei Kinder spielen und mit ihren Rädern plötzlich nach rechts huschen, versucht eine Seniorin auszuweichen, um wenig später hinter Spaziergängern bremsen zu müssen. Hinter ihr drängelt ein sportlicher Fahrer. Auch auf dem Jan-Reiners-Weg unterwegs: zwei nebeneinander walkende Frauen, ein Mädchen auf einem Hoverboard, Hunde an Leinen und Familien mit Kinderwagen. „Um Konflikte zu vermeiden, brauchen wir eine deutliche Trennung von Fußgängern und Radfahrern“, so Genzel.
Der 65-Jährige schwärmt insgesamt von der Route: „Autofrei“, sagt er und atmet die frische Luft ein. „Wie man hier in Ruhe ohne Stress durch die schöne Landschaft fahren kann, das ist schon toll“. Enderle weiß, dass „viele Verbesserungen unter dem finanziellen Vorbehalt abgebügelt werden“. Doch der Mann auf dem Utopia bleibt optimistisch, dass der Jan-Reiners-Weg attraktiver wird: „Wenn der Verkehr weiter wächst, muss man die Radrouten weiterentwickeln“, sagt er. Unter anderem dafür benötige Lilienthal dringend einen Radverkehrsbeauftragten.
Radeln auf einer alten Bahntrasse
Der Jan-Reiners-Weg misst rund 23 Kilometer. Benannt wurde der Weg nach der Kleinbahn Bremen–Tarmstedt, die im Volksmund als „Jan Reiners“ bezeichnet wurde. Der Namensgeber, Ökonomierat und damalige Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Vereins Lilienthal, hatte sich für den Bau der Bahn eingesetzt. Genutzt wurde sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts von Torfbauern. 1956 wurde die Bahn eingestellt, Anfang der 1970er-Jahre wurde auf der Trasse ein Radweg gebaut.
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