Seit Jahren weist die Kampagne zum Equal-Pay-Day auf die Unterschiede in der Bezahlung von Frauen und Männern hin. Konnten Sie eine Verbesserung feststellen?
Jantje Röller: Nun, gerade im Dezember hat das Statistische Bundesamt berechnet, dass die Gehaltslücke erstmals auf unter 20 Prozent geschmolzen ist – auf 19 Prozent. Das sind allerdings immer noch 19 Prozent zu viel.
Woran liegt es, dass Frauen immer noch weniger verdienen als Männer?
Das hat eine Vielzahl von Gründen. Es hat viel mit Entscheidungen zu tun, die von Rollenstereotypen geprägt sind – sei es bei der Berufs- oder bei der Partnerwahl. Zum Beispiel der Karriereknick, den viele Frauen hinnehmen, weil sie mit der Familiengründung häufig mehr unbezahlte Sorgearbeit übernehmen, also ihre Erwerbsbiographie zu lange unterbrechen oder auch nur in Teilzeit weiterarbeiten, sodass ihre Einkommen stagnieren, während Männer häufig als Versorger ab der Familiengründung mehr Geld verdienen.
Wie sind da Ihre eigenen Erfahrungen?
Bei mir war das zum Glück anders: Ich habe gerade, als mein erstes Kind unterwegs war und ich deswegen ein Stipendium in New York nicht weiter nutzen wollte, eine neue Stelle an der Europauniversität in Frankfurt bekommen und sogar auch noch am Theater inszenieren können. Ich kann nur raten, auch mit Nachwuchs weiter zu arbeiten, finanziell unabhängig zu bleiben und die Familienaufgaben und die Erwerbsarbeit gerecht zu teilen. Inzwischen gibt es ja auch Vorbilder wie den Verein Working Moms. Wichtig ist zudem, Selbstvertrauen zu entwickeln, bei Verhandlungen nicht die Schwächen, sondern Stärken zu sehen. Dazu hilft ein Perspektivwechsel wie mal den Partner zu fragen, welchen Lohn er für welche Tätigkeit veranschlagen würde.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Ungleichheit ausgewirkt?
Nach dem persönlichen Eindruck ist es schon mal ein Vorteil, dass die Schattenwirtschaft, die Bedeutung der oft unbezahlten Sorgearbeit in Familien, nun ins Rampenlicht gekommen ist, dass Männer im Homeoffice, wenn die Frauen auswärts arbeiten, die unbezahlten Familienaufgaben stärker übernehmen als sonst. An die Wertschätzung der Sorgearbeit lässt sich anknüpfen. Sie kann dazu führen, dass sie gesellschaftlich anerkannt, gerechter aufgeteilt oder auch besser entlohnt wird. Es gibt eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Ungleichheit. Aber: In den amtlichen Daten sehen wir noch nichts, weil es hier einen zeitlichen Nachlauf gibt. Im März veröffentlicht das Statistische Bundesamt den Gender Pay Gap für 2020. Aussagen zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Ungleichheit können daher noch nicht getroffen werden.
Care-Berufe sind in der Pandemie gefordert wie nie zuvor. Warum wird dort immer noch so schlecht bezahlt?
Persönlich frage ich mich das ehrlich gesagt auch – und sehe dringenden Handlungsbedarf: Ich habe gerade erlebt, wie ein Krankenhaustermin meines Sohnes, der eigentlich regelmäßig quartalsweise stattfinden muss, verschoben wurde, weil die entsprechende Station in einer Uniklinik wegen Personalmangels geschlossen worden ist. Wir haben voll ausgestattete Krankenhäuser mit allen Möglichkeiten und Maschinen, aber Arbeitsbedingungen bei den Pflegekräften, die so gestaltet sind, dass wir die Möglichkeiten nicht nutzen können. Mir ist diese Diskrepanz im Moment der persönlichen Betroffenheit noch mal viel deutlicher geworden und ich denke, das geht vielen Menschen im Zuge der Pandemie so. Und darin liegt auch eine Chance zur Veränderung, da die existenzielle Bedeutung der Pflegearbeit nun sichtbar wird. Da ließe sich durch eine gesellschaftliche Umorientierung hin zu einer sozialeren Arbeit, was New Work auch beinhaltet, sehr viel verbessern.
Warum werden solche Berufe geradezu zu einer Niedriglohnfalle für Frauen, die in diesem Berufsfeld die Mehrheit ausmachen?
Es gibt mehrere Erklärungsansätze für die Unterbewertung der Sorgetätigkeiten: Historisch wurden Care-Tätigkeiten nicht als Beruf gesehen, eher als Berufung und Hilfstätigkeiten. Teilweise sind das auch Tätigkeiten, die Frauen über Jahrhunderte „mitgemacht“ haben – ohne Bezahlung. Diese geringe Wertschätzung der anspruchsvollen und komplexen Care-Berufe hält sich leider hartnäckig. Es gibt aber auch Erklärungsansätze zur strukturellen Unterbezahlung des Gesundheitswesens oder zur geringen Durchsetzungsmacht bei den Interessen dieser Beschäftigten: Wenn der Arbeiter bei VW streikt, setzt er höheren Lohn relativ schnell durch. Bei Care-Berufen sind die Beschäftigten in geringerem Maße organisiert und sie sind auch aus ethischen Gründen weniger streikbereit.
Wo ist der Gender-Pay-Gap, also die Lücke in der Bezahlung von Männern und Frauen, am größten?
Die größten Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt es in Mischberufen, also in Berufen mit eigentlich einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis. Besonders deutlich war das 2016 laut einem Bericht der Berliner Morgenpost in Berufen der Justiz und Rechtsberatung. In Mischberufen wie der Unternehmensorganisation und -strategie oder dem Rechnungswesen, Controlling und der Revision liegt der Gender-Pay-Gap beispielsweise bei 34 beziehungsweise 35 Prozent. Aber es gibt Hoffnung: In der Fahrzeug-, Luft-, Raumfahrt- und Schiffbautechnik – Berufen mit einem Frauenanteil von nur drei Prozent – gibt es sogar einen negativen Gender-Pay-Gap. Das bedeutet, dass Frauen in diesem Beruf sieben Prozent mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen.
Kann der New-Work-Ansatz, um den es beim Visionär*in-Tag geht, bei der Bekämpfung der Ungleichheit helfen?
Ja, New Work scheint mir momentan als der Zauberschlüssel, verstanden als agile Arbeit. Und das geht besonders gut jetzt im Zuge der Pandemie mit mobilem Arbeiten. In meiner PR-Agentur mit internationalen Kunden, Musikerinnen und Institutionen geht das Arbeiten gar nicht anders als agil, weil die Beteiligten ja quer über den Globus, also in verschiedenen Zeitzonen aktiv sind. Da die Zeitfenster zum Austausch entsprechend klein sind, ist eine klare Kommunikation und das Vertrauen, dass die Einzelnen ihr Bestmöglichstes geben, unabdinglich. Wenn Austausch im digitalen Raum stattfindet, müssen Treffen genau vor und nachbereitet werden, eine klare Tagesordnung haben. Ein Prinzip des agilen Arbeitens ist ja auch, dass Dinge, die nicht innerhalb von fünf Minuten geklärt werden können, in einem externen Treffen bilateral erörtert werden. So verliert der Rest der Runde nicht Kraft in Schaukämpfen, Platzhirschgebaren oder anderen Punkten, die in diesem Moment nicht relevant sind. Zudem gibt es eine hohe Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Beteiligten sowie eine Flexibilität und Durchlässigkeit in den Führungsstrukturen.
Welche Rolle spielen Digitalisierung und Flexibilität von Arbeit im Zuge der Ungleichheit?
Sie kann sehr viel ermöglichen wegen der höheren Effizienz der Kommunikation, Freiräume schaffen und Ungleichheit verringern – vor allem, wenn die Digitalisierung mit flexiblen Hierarchien einhergeht. Wenn durch Ziele und Ergebnisse geführt wird, ist eine bessere Leistung möglich. Es geht weniger Energie in verkrusteten, undurchlässigen Strukturen verloren.
Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen, um die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern zu verhindern?
Die Berufswahl muss frei von Stereotypen geschehen, dazu braucht es Rollenvorbilder und Ermutigung. Mädchen haben auch große Freude an technischen Fragen. Ihre Lust an Abenteuern und Risikobereitschaft muss gestärkt werden mit Vorbildern wie etwa Laura Dekker, die mit 14 Jahren allein die Welt umsegelt hat. Diese Mädchen müssen wahrgenommen werden. Zudem muss durch paritätische Elternzeit die Bindung von Vätern zu ihren Kindern und deren Beteiligung an der Familienarbeit gefördert werden. Neben der gerechten Verteilung von unbezahlter Sorge- und bezahlter Erwerbsarbeit müssen mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Zudem ist die Transparenz von Entgeltstrukturen notwendig.
Was raten Sie Frauen, die im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ungleich bezahlt werden? Was können sie konkret tun?
Sachlich nachfragen, das Gespräch mit den Arbeitgebern suchen. Das Entgelt-Transparenzgesetz hilft da sicher, das kann man geltend machen. Sofern vorhanden kann man den Betriebsrat einbeziehen. Denn Arbeitgeber müssen ja nun, gerade frisch vom Bundesgericht bestätigt, beweisen, warum sie ungerecht bezahlen und vor allem: die Ungleichheit offen kommunizieren. Es gibt auch eine tolle Aktion im Rahmen der diesjährigen Equal-Pay-Day-Kampagne: „Show the Gap“ soll dazu anregen, am Equal Pay Day medienwirksam 19 Prozent eher die Arbeit zu beenden.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich das Problem der Ungleichbezahlung irgendwann erledigt hat?
Das wird sich nicht erledigen, das müssen wir schon selbst tun! Aber: Wenn ich überlege, wie selbstverständlich die partnerschaftliche Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit für unsere Kinder ist, wo der Papa einfach gerne kocht und das Nest hegt, während ich viel dienstlich unterwegs bin oder wie der Mathelehrer meiner Tochter Erziehungsurlaub nimmt, um sein Kind in die Kita einzugewöhnen und dass an der Schule die Mädchen echte MINT-Asse (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – Anm. d. Red.) sind, dann habe ich viel Hoffnung, dass Rollenbilder sich ändern können.
Der Interview führte Eike Wienbarg.
Jantje Röller
ist Leiterin der Kampagne zum Equal Pay Day in Deutschland. Sie promovierte im Fach Kulturwissenschaften an der Europuniversität Viadrina in Frankfurt/Oder und gründete die Beratungsagentur Amphitryon Media in Berlin. Am Montag spricht sie beim Visionär*in-Tag.
16 Workshops beim Visionär*in-Tag
Stuhr. Der erste digitale Visionär*in-Tag findet an diesem Montag, 8. Februar, statt. Los geht es um 12.45 Uhr mit einem Grußwort von Stuhrs Bürgermeister Stephan Korte. Danach gibt es insgesamt 16 Workshops verteilt auf verschiedene digitale Räume zum Thema „New Work“ und den Unternehmensthemen, die seit der Corona-Krise in jeder Firma notwendig sind, heißt es in der Ankündigung von der Gemeinde. Es geht unter anderem um die Führung virtueller Teams, um den Vertrieb über Soziale Medien, neue Recruiting-Wege oder Künstliche Intelligenz im E-Learning. Darüber hinaus gibt es Workshops zu Businessplan und neuer Liquidität, die sich vor allem an Menschen wenden, die ein Unternehmen gründen oder gründen wollen. An virtuellen Stehtischen besteht zwischendrin die Möglichkeit zum Austausch.
Zum Abschluss der Veranstaltung ist gegen 17.15 Uhr noch eine Plenums-Podiumsdiskussion geplant, bei der es um die Frage „Bringt New Work Equal Pay in Gefahr?“ gehen wird. Auf der virtuellen Bühne sitzen dann Jantje Röller (Leiterin der Equal-Play-Day-Kampagne Deutschland), Yvonne Bauer (Referentin für Arbeit 4.0 und Fachkräfte bei der Bremer Senatorin für Wirtschaft) sowie Franca Reitzenstein als Geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur Neusta Communications, einer der größten Internetagenturen Deutschlands mit Sitz in Bremen. Per Video-Statement meldet sich dazu auch Kai Stührenberg, Staatsrat beim Bremer Wirtschaftssenat. Die Teilnahme am Aktionstag ist kostenlos für Gründerinnen, die seit 2019, 2020 oder 2021 ihr Business aufbauen. Tickets sind online erhältlich unter www.siehda-stuhr.de.