Diese Operation hat Wirbelsäulenchirurg Karsten Ritter-Lang, ärztlicher Direktor der orthopädischen Fachlinik Stenum, dann doch lieber anderen Fachleuten überlassen: Bevor der historische Krankenwagen, der seit den 1970er-Jahren in einer Klinik im brasilianischen São Paulo im Einsatz war, in die Gemeinde Ganderkesee überführt worden ist, wurde er nämlich erst einmal in sämtliche Einzelteile zerlegt und wieder neu zusammengesetzt.
So haben die Spezialisten in Brasilien etwa den Motor komplett auseinandergenommen und gereinigt, die Achsen ausgebaut und neu justiert, und auch die Sitze sind frisch bezogen und erstrahlen nun wieder in einem frischen Krankenhaus-Weiß. Nach der Überführung hat sich eine auf VW-Bullis spezialisierte Werkstatt in Sottrum um die TÜV-Abnahme gekümmert sowie neue Reifen aufgezogen und auch die Bremszylinder noch einmal ausgetauscht.
Auf der Ladefläche befindet sich noch immer die Original-Krankenliege des Hospitals in São Paulo, die auf zwei um die Ecke laufenden Schienen befestigt ist. Ein Tropf hängt dekorativ von der Decke des Fahrzeugs. Eine weitere Innenausstattung ist schlicht nicht vorhanden, weshalb der kultige Bulli natürlich nicht im Ansatz mit modernen Rettungsfahrzeugen vergleichbar ist, die ja schon in ihrer Laderaum-Einrichtung als rollende Hightech-Labors daherkommen. Es ist aber nicht überliefert, wie lange der Transporter in Brasilien als Krankenwagen im Einsatz war.
Nach den Erkenntnissen der Klinik handelt es sich beim Stenumer T 1 um den einzigen Krankenwagen seiner Art, der zurzeit auf Deutschlands Straßen unterwegs ist. Als er am 1. Juli 1972 in Brasilien zum ersten Mal zugelassen wurde, wurde das Modell in Deutschland bereits seit fünf Jahren nicht mehr gebaut. Bei Jürgen Werner, dem ehemaligen Chefarzt der Anästhesie in Stenum, hätte der Wagen Erinnerungen an seine Anfangszeit als Mediziner wachgerufen, berichtet Ritter-Lang. „Er hat erzählt, dass er als junger Zivildienstleistender mit einem solchen Fahrzeug Notarztwagen gefahren ist.“
Schnurrt wie ein kleines Kätzchen
Wenn Klinik-Sprecherin Daniela Wolff den Motor startet, dann spotzt und hustet es aus dem Auspuff, sodass man den Patienten guten Gewissens eigentlich nicht entlassen möchte. „Wenn er erstmal warm ist, schnurrt der aber wie ein kleines Kätzchen“, versichert Wolff. Allerdings seien die 47 PS Motorleistung ein bisschen limitiert. „Bei Tempo 70 ist Schluss, und es ist wichtig, vorausschauend zu fahren. Wenn man bremsen will, sollte man sich das früh genug überlegen“, sagt sie. Autobahnfahrten will sie deshalb nach Möglichkeit vermeiden.
Auf die Idee, das Fahrzeug anzuschaffen, waren die Klinik-Verantwortlichen im vergangenen Jahr gekommen, als sich eine Delegation brasilianischer Orthopäden den Betrieb in Stenum angeschaut hat. Als Dolmetscher mit dabei war ein ehemaliger Autohändler aus Oldenburg, der im Ruhestand Bullis aus Brasilien nach Deutschland importiert. Und als Ritter-Lang das Foto just dieses Krankenwagens sah, war es um ihn geschehen.
Der ärztliche Direktor hat nämlich auch privat ein Faible für historische Automobile: So nennt er etwa selbst einen T 1-Bulli, ein Motorrad mit Beiwagen Baujahr 1957 sowie einen „Barkas“, laut Ritter-Lang „der Bulli des Ostens“, sein eigen. „Ich mag dieses alte, profane, mechanische Zeug“, erzählt er. „Als ich unserem Team die Aktion vorgeschlagen habe, haben die mich alle erstmal angeguckt wie ein Bus. Aber der Bulli passt zu uns und zur Geschichte unseres Hauses.“ Finanziert hat die Klinik das Fahrzeug aus Drittmitteln: „Deshalb brauchen wir gegenüber unseren Patienten auch gar kein schlechtes Gewissen zu haben“, betont Ritter-Lang.
Nach der Generalüberholung wurde das Fahrzeug Ende März verschifft, sodass es schließlich am 7. Juni in Bremerhaven ankam und fünf Tage später auch vom Zoll freigegeben wurde. „Die anschließende Zulassung mit dem ‚H‘-Kennzeichen für Oldtimer hat sich dann auch noch einmal sehr aufwendig gestaltet“, berichtet Daniela Wolff.
Bulli zieht Menschen an
Seine Feuertaufe hat der Bulli am vergangenen Wochenende beim Rock ’n’ Roll-Festival in Ganderkesee erfolgreich bestanden: „Es ist unglaublich, was man mit diesem Fahrzeug erlebt“, sagt Daniela Wolff. „Die Leute sind unglaublich kommunikativ und fangen sofort an zu fachsimpeln. Ich habe schon Einladungen zu diversen Oldtimer-Festivals erhalten.“ Die Kunst des Marketings besteht dann darin, einen Dreh zu den Themen Rücken, Hüfte oder Knie zu finden.
Was auf einem Festival, das die 50er- und 60er-Jahre feiert, aber nicht allzu schwer gewesen sei. An diesem Sonntag ist der Krankenwagen auf dem Herbstmarkt in Ganderkesee im Werbeeinsatz, und auch für die Zukunft haben Ritter-Lang und Wolff schon zahlreiche Ideen.
Der Tachostand ist mit einer Laufleistung von 31 211 Kilometern übrigens sehr moderat. Niemand weiß allerdings, wie viele Runden der Kilometerzähler schon gedreht hat.