98 Gäste aus Deutschland und dem europäischen Ausland nahmen in diesem Jahr am Kultursommer im Tagungshaus Bredbeck teil. So viel wie nie – freuen sich die Veranstalter.
Neun Tage Kultur –was für ein Sommer im Tagungshaus Bredbeck. Und dann auch noch die Rekordbeteilung von 98 Teilnehmern. „So groß war der Ansturm noch nie. Bredbeck war total ausgebucht“, resümiert Ursula Grzeschke. Und sie lobte die Zusammenarbeit: „Alles ging ohne Streit und Stress ab, ganz entspannt. Wir haben nie die gute Laune verloren.“
Die Teilnehmer arbeiteten in drei Projektgruppen. Im Sommeratelier fanden Kurse im Malen und in der Bildhauerei statt. Die Sommerakademie deckte mit Orchesterproben, Gesang und Tanz den musikalischen Bereich ab. Und Jugendliche aus Deutschland, Polen und der Ukraine probten und verwirklichten ein Theaterstück auf der Freilichtbühne. Am Wochenende präsentierte das Aller Welt-Orchester im Pavillon die Ergebnisse seiner Probenarbeit und gab ein Konzert mit „Musik ohne Grenzen“.
Am Sonnabend konnten Besucher in einem offenen Haus“ die entstandenen Bilder und Skulpturen besichtigen. Sie hatten Gelegenheit, Ausschnitte aus dem Bühnentraining-Programm mitzumachen und am Abend eine beeindruckende Theateraufführung mitzuerleben. Die Teilnehmer gaben bereitwillig Auskunft über ihre Erfahrungen und Gestaltungsergebnisse. So beispielsweise Hildegard Ziegler-Gräbel, die bei Waldemar Grazewicz gearbeitet und Foto-Kollagen geschaffen hat. Darin hat sie die erzählten Alpträume von Franz Kafka bildnerisch umgesetzt, indem sie besonders die Augen des Schriftstellers in die Turmfassaden seiner Heimatstadt Prag eingefügt und damit eine bedrückende Atmosphäre erzeugt hat.
Viele Bilder und Skulpturen
Astrid Koschnitzki hat das erste Mal am Sommeratelier in Bredbeck teilgenommen. Auf einem ihrer Acrylgemälde hat sie die Grenzpfähle der fünf Staaten nebeneinander dargestellt, aus denen die am Kultursommer beteiligten Gäste kamen. Die schräg auf die Pfähle gemalten Farben der jeweiligen Nationalflagge führen zu einer optischen Täuschung, bei der man glaubt, die Bildfläche bewege sich im Vorübergehen, und man überwinde eben die angezeigten Grenzen.
Im Keller des Tagungshauses tat sich ein Skulpturen-Kabinett auf. Da hatten die Holzbildhauer unter der Leitung von Barbara Übel Plastiken aus weichen Hölzern geschaffen, einen Pferdekopf beispielsweise, die Schwanzflosse eines Wals oder eine grazil sich bewegende weibliche Figur.
Astrid Marke hat eine abstrakte Gestalt aus einer Goldulme geformt. Das Spannende daran ist, dass man die Eigengesetzlichkeit des Holzes – bei mir mit vielen Ästen – mit dem eigenen Gestaltungswillen in Einklang bringen muss“, berichtet sie.
Eine sehr interessante Skulptur hat auch Anne Kristensen hergestellt: eine aufgeplatzte Schote, die ihre vielen runden Früchte offenlegt.
Im Pavillon zeigt Hans Kieseier derweil einer Besuchergruppe, wie man sich jeden Teil seines Körpers bewusst machen muss, wenn man ihn im Spiel oder Tanz gezielt einsetzen will: „Spürt in euren Körper hinein“, fordert er die fünf Personen auf, die sich auf den Boden gelegt haben. Erforscht die Punkte, mit denen ihr den Boden berührt! Welche sind es? Was empfindet ihr?“ Hier zeigt sich, dass Bühnentraining mehr ist, als nur auf einer Bühne zu stehen und vielleicht ein Gedicht aufzusagen.
Ein weiteres Projekt war die Probenarbeit und Aufführung eines Theaterstücks auf der Freilichtbühne vor dem Tagungshaus am späteren Abend. Es gehörte ursprünglich zum Deutsch-polnischen Jugendaustausch, wurde aber kurzfristig erweitert, als zehn Studenten aus der Ostukraine wegen der Kämpfe in ihren Heimatorten länger in Deutschland bleiben mussten. So waren 32 Jugendliche beteiligt. Grundlage des Stückes war der Roman von Johannes Brobowski „Levins Mühle“.
Die Handlung spielt 1874 in Westpreußen, als in Deutschland der Nationalismus erstarkte. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Urenkels. Das ursprünglich einvernehmliche Zusammenleben der Menschen in Marienwerder, dem heutigen Kwidzyn, wird durch Großmannssucht und national-konservative Gesinnung plötzlich zerstört. Polen und Deutsche, Katholiken und Protestanten, Juden und Zigeuner schotten sich gegeneinander ab, grenzen sich aus. Der deutsche Müller im Ort wehrt sich mit unlauteren Mitteln gegen den jüdischen Konkurrenten. Er zerstört dessen Wassermühle, indem er sie einfach wegspült. Bei seinem Handeln glaubt er sich im Recht, und er bekommt es auch vor dem deutsch-nationalen Gericht zugesprochen. Der jüdische Müller muss gedemütigt den Ort verlassen.
Mit Au-Pair-Plätzen aus der Gefahrenzone
Sieben Studenten aus der Ost-Ukraine müssen zunächst nach Kiew und können wegen der Kämpfe nicht in ihre Heimatorte zurück
Als die zehn ukrainischen Studenten am 13. Juli aus Donezk nach Deutschland kamen, um an einem Seminar für politische Bildung teilzunehmen, ahnten sie noch nicht, dass ihr Aufenthalt eine dramatische Wendung nehmen und sich länger hinziehen würde, als sie ursprünglich angenommen hatten (wir berichteten). Ihren Rückflug hatten sie schon gebucht. Da wurde vier Tage später über der Ostukraine ein malaysisches Verkehrsflugzeug abgeschossen. Die ohnehin angespannte Lage in der Region spitzte sich weiter zu. Der Streit zwischen der ukrainischen Regierung in Kiew und den russland-treuen Separatisten eskalierte. Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbas wurde die gesamte Grenzregion zum unkontrollierten Kampfgebiet. Die Millionenmetropole Donezk wird seither hart umkämpft und die Bewohner sind gefährdet. Es sei auch nicht ratsam in die noch geöffnete Universität der Stadt, an der die ukrainischen Gäste im Tagungshaus Bredbeck Anglistik und Germanistik studieren, zurückzukehren. Inzwischen laufen die Visa der Studenten ab. Heute müssten sie nach Kiew zurückfliegen. Frank Bobran konnte für die Gäste eine Übergangslösung schaffen und sie kurzfristig in das Theaterprojekt Levins Mühle“ eingliedern, das im Rahmen des Kultursommers geprobt und aufgeführt wurde. Aber das ist jetzt vorbei. Kirsten Dahlmann habe sich zwischenzeitlich überaus engagiert um eine Lösung bemüht“, wie Ursula Grzeschke vom Tagungshaus erklärt. Aber viele Ansätze hätten sich als finanziell oder sozial nicht machbar erwiesen.
„Die praktikabelste Lösung wäre, die Studenten als „Au Pair“ für ein Jahr in deutschen Familien unterzubringen“, meint Frank Bobran. Drei Studenten haben bereits einen Vertrag mit Aufenthaltserlaubnis. Einer vierten Bewerberin wurde ebenfalls eine Stelle angeboten. Sie allerdings, möchte unbedingt kurz nach Hause. Das Problem: Sie muss, um wieder einreisen zu dürfen, in Kiew erneut ein Visum beantragen. Für vier weitere Studenten stehen Praktikumsplätze in Aussicht.
Zwei Au Pair-Plätze würden auf jeden Fall noch dringend gesucht, sagt Bobran. „Sicher ist, dass sieben der ukrainischen Studenten zunächst nach Kiew zurückkehren müssen“. Dort werden sie zunächst in Notunterkünften untergebracht. „Wenn sich im Landkreis Osterholz noch Praktikumsplätze finden ließen, dann könnten sie zurückkommen und hier ein Jahr lang bei deutschen Familien leben und arbeiten – in Sicherheit.“