
Die öffentliche Wahrnehmung ist im Fußball nicht immer gerecht. Oft stehen die Offensivspieler im Fokus: Sie entscheiden mit ihren Toren Spiele und reißen mit ihren Dribblings und Pässen die Zuschauer mit. Wer wüsste das besser als Iman Bi-Ria? Der 36-Jährige war schließlich selbst Stürmer – ein sehr torgefährlicher und entsprechend gefeierter obendrein. Ihm gehörten die Schlagzeilen.
Inzwischen ist aus dem Top-Angreifer ein Bezirksliga-Trainer geworden. Er hat die TSG Seckenhausen-Fahrenhorst an die Tabellenspitze geführt – mit teilweise berauschendem Offensivfußball um Virtuosen wie Marcel Dörgeloh, Howard Barbosa oder Nico Kiesewetter. Und doch vergisst Bi-Ria eines nicht: den Anteil seiner Defensivabteilung am Erfolg. Den könne man nicht hoch genug einschätzen, findet er – und nennt zwei Musterbeispiele aus den eigenen Reihen: die Innenverteidiger Sebastian Kirchner und Philip Kleingärtner.
Bi-Rias Wertschätzung für die beiden ist riesig: „Pipo (Kleingärtners Spitzname, Anm. d. Red.) und Sebastian sind sehr wichtige Ansprechpartner für mich. Sie sind absolute Führungsspieler und Köpfe der Mannschaft.“ Nicht umsonst ist Kleingärtner erster Kapitän und Kirchner sein Stellvertreter. Auch außerhalb des Spielfeldes seien sie als Persönlichkeiten enorm wertvoll, sagt Bi-Ria. „Sie sind für den Erfolg ganz entscheidend. Es ist Wahnsinn, was sie bislang geleistet haben.“ Der Ritterschlag des Vollblutstürmers für seine Defensiv-Asse.
Dabei war Kleingärtner eigentlich gar kein Innenverteidiger. Er war Sechser, agierte also vor Kirchner im Mittelfeldzentrum, nicht neben ihm. „Die Idee, Pipo nach hinten zu ziehen, hatte ich schon länger“, verrät Bi-Ria. Als er im vergangenen Jahr noch selbst stürmte, konnte er Coach Andre Schmitz nicht davon überzeugen. Durchaus verständlich, wie der Ex-Stürmer selbst weiß: „Pipo ist ein idealer Sechser.“ Der 24-Jährige dominierte die Kreisliga-Konkurrenz aus dem Zentrum heraus, glänzte als Taktgeber, Vorbereiter und Torschütze. Als Herz des TSG-Spiels. „Ich konnte die Rolle sehr offensiv interpretieren, weil Philipp Eggers mich sehr gut abgesichert hat. Jeder weiß, dass ich mich gern nach vorn einschalte“, sagt Kleingärtner und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Und gern einen reinschweiße.“
Diese Torgefahr konnte er in der derzeit unterbrochenen Serie noch nicht unter Beweis stellen. Noch hat er keinen Treffer erzielt. Zum einen, weil er im Auftaktspiel gegen Heiligenfelde einen Elfmeter verschoss, zum anderen, weil sein Fokus nun ein anderer ist. Mehr als zuvor hat er die Defensive im Blick. Als Bi-Ria den Trainerposten von Schmitz, der nun Sportlicher Leiter ist, übernahm, erhielt die Idee von der Umschulung des Kapitäns neuen Schwung. „Jetzt bin ich ja der Chef“, sagt der Coach. Also trommelte er im Trainingslager in Gronau seine Defensivspieler zusammen und weihte sie in seine Pläne ein.
Aus der Idee ist eine Dauerlösung geworden. Bi-Ria hat sein Traumduo für die Innenverteidigung gefunden. „Das zeigt, wie gut Iman uns einschätzen kann“, sagt Kleingärtner anerkennend. Er murrte nicht, obwohl er keinen Hehl daraus macht, „dass ich lieber im Mittelfeld spiele“. Das wusste auch Bi-Ria, der seinem Kapitän dessen Reaktion hoch anrechnet: „Pipo hat sich absolut in den Dienst der Mannschaft gestellt.“ Der Gelobte hat sich längst mit seiner neuen Rolle arrangiert. „Wenn es das Beste für die Mannschaft ist, dann mache ich das natürlich. Und es funktioniert ja, das gibt Iman Recht. Solange es läuft, gibt es keinen Grund etwas zu ändern.“ Auf der Sechs zieht mittlerweile Kleingärtners Freund Nico Kiesewetter die Fäden. Auch er in ungewohnt defensiver Rolle, aber ebenso erfolgreich. Bi-Ria hat ein Gespür dafür, die Stärken seiner Spieler auch auf anderen Positionen zur Geltung zu bringen. Und den Mut, seine Ideen umzusetzen.
Dass Kleingärtner in der Verteidigung schnell Fuß fasste, ist für seinen Partner keine Überraschung. „Pipo ist ein sehr intelligenter Fußballer“, sagt Sebastian Kirchner. Wenn es jedoch um Erfahrung geht, hat er deutlich die Nase vorn. Mit 32 Jahren gehört er zu den älteren Akteuren im TSG-Aufgebot, aber er ist nach wie vor von großem Wert für die Mannschaft. Kirchner lebt für den Sport. „Ich richte mein Privatleben nach Fußball aus“, erklärt er, warum ein Grundsatz in Seckenhausen unumstößlich ist: Der Mann mit der Nummer 24 ist immer da. „Ich habe einfach die Motivation dazu. Ich will keine halben Sachen machen“, verdeutlicht er. In der vergangenen Saison verpasste Kirchner kein Spiel, in dieser auch nicht. Keine einzige Sekunde hat er gefehlt, das haben in der Staffel der Diepholzer Nordkreis-Klubs nur sechs weitere Spieler geschafft, die nicht im Tor stehen. Kirchner, das belegen die Zahlen, ist die Zuverlässigkeit in Person.
Und ein guter Lehrmeister obendrein. „Ich glaube schon, dass ich meine Erfahrung ganz gut weitergeben kann“, sagt der Verteidiger, der seit 2015 für die TSG aufläuft. Er nahm Kleingärtner, der unter Dirk Hofmann ein paar Einsätze in der Innenverteidigung gehabt hatte, aber nie dauerhaft auf dieser Position aufgelaufen war, an die Hand, leitete ihn an, gab ihm Tipps. Nicht einen Moment lang habe er sich Sorgen gemacht, dass sich sein Partner nicht zurechtfinden könnte. „Dafür ist Pipos Spielverständnis zu groß. Deshalb hat es von Beginn an gut gepasst. Wir haben viel gesprochen. Er ist total offen, nimmt alles an und versteht sofort, was von ihm erwartet wird.“
Auch für Bi-Ria hat sich bestätigt: „Pipo bringt als Innenverteidiger alles mit.“ Damit meint er unter anderem die Handlungsschnelligkeit, die Zweikampfstärke und auch die technischen Fähigkeiten, den Spielaufbau zu übernehmen oder nach Ballgewinnen einen Konter zu initiieren. In einer Sache sieht Kleingärtner selbst seinen Partner aber noch deutlich vorn. „Beim Kopfballspiel ist Sebastian unglaublich stark. Da kann ich von ihm sicherlich noch einiges lernen.“ Dafür, ergänzt er, sei er ein bisschen schneller.
Kirchner und Kleingärtner ergänzen sich also gut. „Ich vertraue ihm blind“, sagt der Erfahrenere des Duos. „Wenn ich einen Zweikampf verliere, weiß ich, dass er da ist.“ Beide geben sich gegenseitig Halt. Das haben sie sich seit dem Trainingslager erarbeitet. Zum Saisonstart saßen auch die Details wie das gemeinsame Verschieben in der Kette, die Abstände oder die gegenseitige Absicherung. „Sebastian hat mir sehr geholfen, aber auch Jan (Dahlheuser, Anm. d. Red.), der als Rechtsverteidiger meist neben mir spielt“, verrät Kleingärtner.
Er und Kirchner verliehen der TSG seit dem ersten Spieltag Sicherheit. In den ersten fünf Begegnungen kassierte Seckenhausen nur einen Gegentreffer, insgesamt sind es nur acht. Ligabestwert. „Die beiden haben das überragend gemacht“, findet Bi-Ria. Sein Schachzug ist aufgegangen. Denn auch offensiv lief es bislang wie geschmiert. Das hat auch Kleingärtner beobachtet. „Es war schon toll, den Jungs da vorne zuzuschauen, wie sie gewirbelt haben.“ Frech aufspielen konnten die Offensivkräfte nur, weil sie eine starke Defensive hinter sich wussten, die wenig zuließ und selbst zahlreiche Angriffe mit klugen Pässen einleitete.
In dieser Hinsicht überzeugte allerdings nicht nur Kleingärtner. Weil sein Nebenmann häufig zugestellt wurde, musste Kirchner einspringen. Er bewies, dass er mehr ist als ein kompromissloser Zweikämpfer am Boden und in der Luft. „Sebastian hat da noch einen Schritt nach vorn gemacht und sich entwickelt. Er findet fußballerische Lösungen“, lobt Bi-Ria seinen Stammverteidiger, der als Schlüssel für seine starken Leistungen unter anderem seine Fitness anführt. „Ich bin sehr fit in die Saison gegangen. Wenn du körperlich auf einem guten Level bist, hast du ein ganz anderes Gefühl. Du hast einfach die Sicherheit und das Selbstvertrauen, die vertikalen Pässe zu spielen, damit wir schnell nach vorne kommen können.“
Dabei helfe ihm unter anderem das Wissen, dass seine Mitspieler seine Anspiele verarbeiten können. „Durch die Qualität, die wir mittlerweile haben, können wir viel befreiter spielen“, findet Kirchner. Das Kollektiv ist also Seckenhausens Erfolgsrezept. Dazu gehört eben auch die Defensive, „in der alle einen super Job machen“, wie Kirchner betont. Er und Kleingärtner seien nicht die einzigen Garanten für die wenigen Gegentore.
Die Abwehrreihe steht vielleicht nicht immer im Fokus, aber um Wertschätzung muss sie sich definitiv keine Sorgen machen. „Innerhalb der Mannschaft sowieso nicht, und auch die Zuschauer erkennen an, dass wir gute Arbeit leisten“, freut sich Kleingärtner. Nur Schulterklopfer für einen Treffer hat er in dieser Saison noch nicht erhalten. In dieser Hinsicht ist ihm sein Partner voraus: Kirchner hat auch dank seiner Kopfballstärke bereits drei Tore erzielt. „Da muss ich noch nachlegen“, sagt der Kapitän und lacht. Treffen würde er schon gern mal wieder – auch wenn das Toreverhindern zu seinem neuen Markenzeichen geworden ist.
So gut steht die TSG-Defensive
Acht Gegentore in neun Spielen – die TSG Seckenhausen-Fahrenhorst setzt in dieser Hinsicht Maßstäbe in ihrer Bezirksliga-Staffel. Da kann auch der TuS Sudweyhe als zweitbeste Defensive der Liga nicht Schritt halten.
Doch auch unter den insgesamt 79 Bezirksligisten im Bezirk Hannover ist die TSG eine Top-Mannschaft, was die Defensivarbeit angeht. Den Schnitt von 0,88 Gegentreffern pro Spiel können nur fünf Teams unterbieten: Der SC Rinteln (6 Gegentore in 9 Spielen; Schnitt: 0,66) und der TSV Algesdorf (6 in 8; 0,75) aus Staffel drei sowie der SC Harsum (7 in 9; 0,77) sind besser. Die „Maurer-Meister“ des Bezirks spielen in Staffel sieben: Der TuS Davenstedt hat in neun Partien nur vier Treffer zugelassen – 0,44 im Schnitt. Staffelrivale SV Gehrden steht sogar noch besser: Erst zweimal klingelte es im eigenen Kasten in acht Partien. Im Schnitt setzt es nur in jedem vierten Match ein Gegentor. Was die TSG dem SVG voraus hat: Sie ist Tabellenführer.
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macht ihn letztlich zum lachenden zweiten.
egal, wie es am ende steht.