Lilienthal. Nach dem Urteil gegen eine 22-Jährige wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der dabei entstandenen Fotos sind die Wogen im Netz hoch geschlagen. Einige der Äußerungen bei Facebook ziehen nun strafrechtliche Ermittlungen nach sich. Die Polizei bestätigt, dass Strafanzeige erstattet worden ist und die Staatsanwaltschaft nun klären muss, inwiefern Tatbestände für Verleumdung oder Beleidigung erfüllt sind. Zugleich ruft die Polizei die Nutzer auf, besonnen zu agieren. Aufrufe zur Selbstjustiz dürfe es nicht geben. Facebook sei kein rechtsfreier Raum, in dem alles erlaubt sei, sagt ein Polizeisprecher.
Eine Jugendkammer des Landgerichts hatte in dem Berufungsverfahren vergangene Woche eine Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung ausgesprochen, verbunden mit strengen Auflagen. In erster Instanz hatte das Jugendschöffengericht in Osterholz-Scharmbeck festgestellt, dass die Angeklagte im April 2018 auf einem Lilienthaler Spielplatz Fotos von der vierjährigen Tochter einer Bekannten gemacht hatte, die den unbekleideten Genitalbereich des Mädchens und laut Gericht auch „eine konkrete Missbrauchshandlung“ zeigten. Die Dateien schickte sie über einen Messenger-Dienst an ihren damaligen Freund, der mittlerweile ihr Ehemann ist. Sie habe den Mann „bei seinen pädophilen Neigungen erfreuen“ wollen, hieß es.
Von der Tat entsetzt
In mehreren Lilienthaler Facebookgruppen haben sich Mitglieder entsetzt über die Tat gezeigt. Kritisiert wurde auch die verhängte Strafe, die vielfach als zu mild empfunden wird. Gepostet wurde auch ein Foto, das das Geschäft des Ehemannes zeigt. Jemand hatte an der Tür ein Banner mit der Aufschrift „Kinderschänder“ angebracht. Eine Aufnahme davon machte anschließend die Runde. Verlinkungen zu den Facebook-Profilen des Ehepaars und Hinweise auf den Wohnort wurden ebenfalls geliefert. Ein Kommentator kündigte einen „kleinen Besuch“ an, verbunden mit der Ansage, „die fertig machen“ zu wollen.
Viele Mutmaßungen und wütende Kommentare richten sich gegen den Ehemann der Verurteilten. Gegen ihn läuft aktuell kein Strafverfahren, sagt die Polizei. Rechtlich belangt wurde der Mann allerdings schon, wie das Amtsgericht in Osterholz-Scharmbeck bestätigt. Wegen der Verbreitung kinderpornografischer Schriften ist am 4. November 2019 ein Strafbefehl in Höhe von 4200 Euro gegen ihn verhängt worden. Die Entscheidung sei rechtskräftig, heißt es. Die Polizei versucht, die aufgebrachte Stimmung im Netz wieder einzufangen. „Niemand muss sich Sorgen machen, dass die Justiz jemanden übersieht. Niemand wird vergessen“, sagt ein Sprecher der Polizeiinspektion Verden/Osterholz.
Die Gemüter wieder zu beruhigen, Hetze und mögliche falsche Anschuldigungen zu beenden, darauf setzen auch jene, die für die Einhaltung der Regeln in den Facebookgruppen verantwortlich sind. Eine dieser Administratoren ist Andrea Vogelsang, die das Geschehen in den Lilienthaler News ehrenamtlich im Blick hat und rechtlich fragwürdige Beiträge konsequent löscht. Auch in diesem Fall hat sie dutzende Male eingegriffen, um Hetze, Drohungen, Namensnennungen und Andeutungen einzudämmen, die als Aufruf zur Gewalt verstanden werden können. Dafür stößt sie vielfach auf Unverständnis. Vorwurf: sie wolle das Paar schützen, wozu es nun wirklich keinen Anlass gebe.
Auch Vogelsang verweist auf die Gesetze, die eben auch bei Facebook uneingeschränkt gelten. Die Lilienthalerin will Diskussionen nicht abwürgen. „Ich kann verstehen, wenn die Mitglieder schreiben, dass sie das alles schlimm und widerwärtig finden. Doch alle sollten sich stets die Frage stellen, was sie mit ihren Äußerungen auslösen können“, sagt sie. Die Kommentarfunktion abzuschalten, hält Vogelsang für falsch. „Dann brauchen wir auch keine Lilienthaler News mehr. Es geht ja um den Meinungsaustausch, ohne dass dort gegen Recht verstoßen wird.“
Wird Facebook auf bestimmte Beiträge aufmerksam gemacht, kann das Unternehmen solche Kommentare, die zur Gewalt aufrufen oder Hass verbreiten, ebenfalls löschen. Gruppen, die die Regeln ignorieren, können geschlossen werden. Die Administratoren können im Zweifel rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. „Wenn wir solche Einträge nicht löschen, machen wir uns teilweise strafbar“, sagt Vogelsang.
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!