Delmenhorst. Es war ein glücklicher Einfall, das Festkonzert anlässlich des 90. Geburtstages des Posaunenchors Delmenhorst am Sonnabend so beginnen zu lassen: Die Begrüßung der Zuhörer in der gut besuchten Stadtkirche übernahm nämlich Horst Heinrich, im Gründungsjahr des Posaunenchors geboren und bis 2011 fünfzig Jahre lang Leiter dieses Ensembles, das heute von seinem Sohn Holger Heinrich geleitet wird. Unter den im Programmheft genannten Musikerinnen und Musikern taucht der Name Heinrich übrigens nicht weniger als fünf Mal auf.
Horst Heinrich nun erinnerte in seiner launigen Rede an seine „leichte Geburt“ und an „schwere Zeiten“, als man den Musikern die Instrumente wegnahm, weil sie bei der Hitlerjugend oder als Metallspende für die Rüstungsindustrie gebraucht wurden. Nach der Zwangspause in der Nazizeit ging es 1946 weiter mit fünf Musikern, die auf geliehenen Instrumenten spielen mussten. Dann kamen bessere Zeiten, Zeiten der großen Reisen bis nach Rom oder gar nach Togo. Horst Heinrich erzählte nicht nur, er ließ auch Musik machen. Zum Einspielen gab es die B-Dur-Tonleiter rauf und runter mit scherzhaften Nörgeleien an der Intonation und witzigen Anweisungen zum richtigen Notenlesen. Mit jugendlich-temperamentvollem Schwung dirigierte der agile alte Herr das erste Stück des Programms, und der Posaunenchor folgte seinem Dirigenten mit schwungvollem Spiel im Bach-Choral „Dir, Dir Jehova will ich singen“.
Nach dieser Musik, die ja zum Standardrepertoire der mehr als 7000 Posaunenchöre gehört, die in den evangelischen Kirchen ihre protestantische Botschaft verkündigen, wechselten Holger Heinrich und sein Posaunenchor das Thema. Auf den Pulten lagen jetzt nämlich die Noten zu einem Lied, das die legendären Comedian Harmonists etwa zu Gründungszeiten des Delmenhorster Posaunenchors gesungen haben. Und der „kleine grüne Kaktus“ blieb trotz der ja beachtlich großen Besetzung mit zehn Trompeten, sechs Posaunen, einem Horn und einer Tuba ein „kleiner Kaktus“, denn der Posaunenchor Delmenhorst spielte mit kultiviertem, leichtem Klang. Selbst Profis setzen mit ihren Instrumenten ja gerne auf den sogenannten „Jericho-Modus“, obwohl sie wie in biblischen Zeiten keine Mauern mehr zum Einsturz bringen müssen. Und so spielten die Delmenhorster Bläser denn auch den Beatles-Song „When I'm 64“ bis in die präzisen Trompeten-Nachschläge mit duftigem Ton, mit weit ausschwingenden Melodiebögen und vergnüglichem Charme.
Dabei können die Musiker auch mit Jericho-Lautstärken aufwarten. Und zwar mit aller Klangschönheit und Klangbalance innerhalb der Gruppen und der Ausgewogenheit zwischen den Instrumentengruppen, wie es in der sinfonisch ausgedehnten Choralbearbeitung „Mitten im Leben wir sind“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy der Fall war. Sie verlangt den romantischen Klang zwischen Fortissimo und Pianissimo, den sie in ausgewogener, kontrapunktischer Achtstimmigkeit auch erhielt. Da zeigten auch die Posaunen, dass sie „pp“, also pianissimo, sprich: sehr leise, spielen können.
Dieser homogene und ausdrucksstarke Bläserklang gehörte ebenso zu Martin Böttchers „Winnetou“-Filmmusik wie zu den anderen alten und neuen Choralbearbeitungen und freien Sätzen, zu denen Holger Heinrich in seiner inhaltsreichen Moderation immer etwas Wissenswertes zu sagen hatte. So wies er darauf hin, dass die dorische Tonart der „Dorischen Intrade“ von Magdalene Schauß-Flake für Blechbläser ein „Angststück“ wegen der schwierigen Intonation sei. Aber er konnte im Nachinein freudig verkünden, dass er das Stück selten so schön wie eben von seinen Bläsern gehört habe. Von denen war in Matthias Nagels „Worte über Worte“ dann sogar „Hip-Hop-Feeling“ gefordert, was denn im Bläser-Sound auch zu erahnen war. Das vom Bremer Kirchentag 2009 mitgebrachte „Wir wollen aufstehen“ könnte heute gut auch von Sahra Wagenknecht genutzt werden, gefiel in diesem Fall mit seinem hochbewegten Satz, der unter dem ein wenig unpräzisen Zusammenspiel aber nicht litt. Der 30er-Jahre-Welthit „Somewhere Over The Rainbow“ erfuhr eine seinen harmonischen Schönheiten nachspürende, klanglich dichte Wiedergabe. Der Choral „Bleib bei mir Herr“ war ein andächtiges musikalisches Schlussgebet.
Selbstverständlich war der Posaunenchor Delmenhorst auf Zugaben vorbereitet: „Yellow Submarine“ von den Beatles war ein fröhlich-beschwingtes Stück Musik zum Mitklatschen, das „Abendgebet“ aus Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ der besinnliche Ausklang fürs Publikum. Für die Bläser war das noch einmal ein harmonischer Brocken, der mit Anstand gemeistert wurde. Am Sonntag wurden die Jubiläumsfeierlichkeiten fortgesetzt mit einem Festgottesdienst gemeinsam mit befreundeten Posaunenchören und einem anschließenden Empfang.
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