
„Grün-Rot – Schulen tot!“ stand auf einem Pappschild. Dann trugen schwarz gekleidete Männer und Frauen aus Lilienthals Außenbereichen die Dorfschulen in Seebergen und Frankenburg mit Trauermienen zu Grabe. Auf der schwarzen Holzkiste klebten Pappschilder: „Grundschule Seebergen – zum Tode verurteilt am 7. Juli 2015“ und: „Grundschule Frankenburg – zum Tode verurteilt am 7. Juli 2015“. Für junge Eltern und Alteingesessene war das, was an diesem Abend im Sitzungssaal des Lilienthaler Rathauses passierte, ein Trauerspiel. Die grün-rote Mehrheit im Gemeinderat setzte die Schließung der kleinen Dorfschulen in Seebergen und Frankenburg durch.
An der Neuordnung der Schullandschaft führe kein Weg vorbei, argumentierten SPD und Grüne. Der demografische Wandel treffe auch Lilienthal mit sinkenden Schülerzahlen. „Stirbt die Schule, stirbt das Dorf“, warnten die Seeberger und Frankenburger. „Wenn die Schule auch noch weg ist, ist hier bald nichts mehr“, sagte Uta Murken-Gieschen vom Schulverein. Sie ist in Frankenburg aufgewachsen. Die Post ist längst weg, der Supermarkt auch, es gibt nicht mal mehr einen Bäcker. Die Feuerwehr und die Vereine fürchten, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht.
Die Schulpolitik in Lilienthal ist kein Einzelfall. Angesichts rückläufiger Schülerzahlen und klammer Kassen bangen in Niedersachsen viele kleine Dorfschulen um ihre Existenz. Vor drei Jahren hat Lilienthals Nachbargemeinde Grasberg die kleine Grundschule Rautendorf geschlossen. Die Schülerzahlen reichten nicht mehr für zwei Schulen. In Osterholz-Scharmbeck hat der Stadtrat die Auflösung der Zwergschule in Ohlenstedt beschlossen, ab 2017 werden die Kinder nach Heilshorn geschickt.
Die Zahl der Grundschulen ist seit Jahren rückläufig. Derzeit sind es nach Angaben des Kultusministeriums knapp 1700, 2005 waren es mehr als 1800. „Über die Gründung und Aufhebung von Schulen entscheidet der Schulträger in eigener kommunaler Zuständigkeit“, sagt die Ministeriumssprecherin Susanne Schrammar. Laut „Verordnung für die Schulorganisation“ soll die Primarstufe mindestens einzügig geführt werden, mit 24 Schülern pro Jahrgang. In Ausnahmefällen sind jahrgangsübergreifende Kombiklassen möglich.
Eine einheitliche Zukunftsstrategie für Dorfschulen gibt es nicht. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Niedersachsen wirbt für „dreizügige Grundschulen mit multiprofessionellen Teams“, Sozial- und Sonderpädagogen inklusive. Pauschal anwendbar sei das dreizügige Modell im Flächenland Niedersachsen jedoch nicht, räumt GEW-Vorsitzender Eberhard Brandt ein. „Die Lage ist regional sehr unterschiedlich. Man muss gucken, wie isoliert ein Standort ist.“ Eva Osterhues-Bruns vom Verband der Grundschulen Niedersachsen wirbt für die Kooperation kleiner Schulen. So könnten auch kleine Einrichtungen den stetig steigenden Anforderungen gerecht werden.
Nicht nur sinkende Schülerzahlen machen Dorfschulen zu schaffen. Auch Lehrer sind Mangelware. „Grundsätzlich ist eine sinkende Nachfrage von Bewerbern bei Angeboten in ländlichen Regionen festzustellen“, so das Kultusministerium. „Den Typ des Dorfschullehrers gibt es nicht mehr, der ist ausgestorben“, ergänzt Eberhard Brandt. Heute seien auch an Grundschulen Fachlehrer vonnöten. Aber: „Eierlegende Wollmilchsäue, das macht keiner mehr.“
„Schulen sind für viele Kommunen ein harter Standortfaktor“, gibt Stefan Bredehöft vom Landeselternrat (LER) zu bedenken. „Es gibt Kleinststandorte, die super funktionieren. Es klappt, wenn man im Dorf eine gesunde Sozialstruktur hat.“ Der LER fordert einen Diskurs über Bildungsqualität. Kommunalpolitiker müssten ihr Kirchturmdenken zugunsten von Kooperationen revidieren. Doch mancherorts scheitern die Schließungspläne auch am massiven Widerstand der Bevölkerung. So wie 2012 im Langelsheimer Ortsteil Wolfshagen (Kreis Goslar). Eltern und Geschäftsleute taten sich zum Aktionsbündnis „Lasst die Grundschule in Wolfshagen“ zusammen und überzeugten die Ratsmehrheit. Nun wird die Grundschule zur Naturschule weiterentwickelt.