
Stuhr/Oldenburg . In den Abendstunden des 18. August 2009 ist Nicole Stindt aus Stuhr zum letzten Mal lebend gesehen worden. Noch in der Nacht, davon geht die Polizei aus, wurde die damals 38-Jährige getötet und nahe Groß Ippener in einem Waldstück vergraben - im Buchholz, nach dem sich die Mordkommission benannt hat. Den heutigen Jahrestag des Verschwindens nehmen die Ermittler zum Anlass, noch einmal an mögliche Zeugen zu appellieren. Die Polizeidirektion Oldenburg hat 5000 Euro ausgelobt, um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.
Zugleich korrigiert Heiner Richmann, Leiter der Mordkommission, Angaben aus den Anfängen der Ermittlungen - die seit Pfingstmontag laufen: An diesem Tag, dem 24. Mai, entdeckten Spaziergänger den Leichnam Nicole Stindts. Wildtiere hatten Teile des Skeletts freigelegt. Die bekleidete Tote sei 'in Rückenlage beerdigt, man könnte fast meinen aufgebahrt' worden. So hatte der Oldenburger Staatsanwalt Rainer du Mesnil de Rochemont Anfang Juni beschrieben, was die Ermittler am Fundort sahen. Er schloss daraus auf eine 'gewisse emotionale Bindung' zwischen Nicole Stindt und ihrem Mörder - auch wegen des 'sauber ausgeschachteten Grabes'.
Heiner Richmann sieht das anders: Nicole Stindt sei schlicht 'verscharrt' worden. 'Es hat sich jedenfalls jemand Mühe gemacht, damit sie nicht gefunden wird', sagt er. 'Was die Täter-Opfer-Beziehung betrifft, wäre ich vorsichtig, da was reinzuinterpretieren.' Aber es gibt auch Fakten, die bislang nicht richtig dargestellt wurden: Nicole Stindt war gelernte Arzthelferin. Bislang hatte es geheißen sie sei Krankenschwester, wo sie ausgebildet wurde sei unbekannt. Zuletzt war sie ohne Job und bezog Arbeitlosengeld II.
Dass sie sich einen Toyota Corolla Kombi leisten konnte, in dem sie auch am 18. August vergangenen Jahres mit ihren zwei Hunden zu einem Bassumer Übungsplatz fuhr, führt die Polizei auf eine Erbschaft zurück. Die 'Vermögensermittlung', sagt Heiner Richmann, habe ergeben, dass aus dieser Erbschaft noch ein erheblicher Geldbetrag in der Wohnung Nicole Stindts hätte liegen müssen. Seit klar ist, dass das Geld fehlt, halten die Beamten auch einen Raubmord für denkbar.
Sogenannte Profiler des Landeskriminalamtes in Hannover unterstützen die Mordkommission - als Querdenker, die Abstand zu den laufenden Ermittlungen haben, sollen sie versuchen, neue Ansätze zu entdecken. Nach rund zwölf Wochen konzentrierten sich die Ermittlungen nach wie vor auf das 'persönliche Umfeld' der Getöteten. Derzeit seien bundesweit 95 Personen bekannt, mit denen Nicole Stindt in Internetforen Bekanntschaft machte. Die Überprüfung dauere an, sagt Richmann. Die Verbindungsdaten von Stindts Mobilfunktelefon hat der Handy-Provider pflichtgemäß nach einem halben Jahr gelöscht - die Tote wurde aber erst nach neun Monaten gefunden - bis dahin gab es keine Ermittlung.
Die Frau war eine Einzelgängerin
Im realen Leben galt Nicole Stindt als Einzelgängerin: 'Sie ist zwar mit vielen Leuten zusammengekommen, hatte aber keine engen Kontakte', sagt Richmann. Stindt sei als Kind durch organische Fehlbildungen gehandicapt gewesen. Sie wuchs bei ihren Großeltern in Stuhr-Varrel auf und pflegte ihren Großvater bis zu dessen Tod im Jahr 2006. Dann sei sie nach Stuhr gezogen. Der Kontakt zur Familie, die in der Gemeinde und im Oldenburger Land lebe, sei wegen eines Erbschaftsstreits abgebrochen. Die Auseinandersetzungen seien so weit gegangen, dass Angehörige einen Zwangsvollstreckungstermin erwirkten, um Nicole Stindts Wagen pfänden zu lassen. 'Die Summe, die da anstand, hätte sie eigentlich zahlen können', sagt Richmann. Zur Begegnung mit dem Gerichtsvollzieher kam es nicht mehr.
Der Toyota wurde am Morgen nach Nicole Stindts Verschwinden am Breitenweg in Bremen, nahe dem Bahnhof, abgeschleppt, weil er im Parkverbot stand. Erst tags darauf war klar, dass es sich um den Kombi einer Vermissten handelte. Später sicherten Kriminaltechniker diverse Spuren im Fahrzeug - das zwischenzeitlich versteigert wurde. Ebenfalls am Morgen des 19. August wurde Stindts Hündin Lana in der Nähe Dötlingens entdeckt, ausgeruht mit einem Leckerlibeutel neben sich. Hund Berry war derweil zu Hause, sein Bellen machte die Vermieterin darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmte.
'Wir setzen jetzt auf die 5000 Euro', sagt Heiner Richmann. 'Das zeigt, wie wichtig uns der Fall ist. Und es gibt ja wirklich Leute, die sich erst als Zeugen melden, wenn eine Belohnung ausgelobt wird.'