
Die Bedenken und der Widerstand – auch in den eigenen Reihen – waren zu groß: Niedersachsens rot-grüne Landesregierung steigt aus den Gesprächen über den umstrittenen Vertrag mit den muslimischen Verbänden Ditib und Schura sowie der Gemeinschaft der Aleviten vorerst aus.
Einen neuen Anlauf wird es frühestens nach der Landtagswahl Anfang 2018 geben. „Die Landesregierung und die muslimischen Verbände nehmen mit Bedauern zur Kenntnis, dass sich die Rahmenbedingungen für die in Aussicht genommene Vereinbarung in den vergangenen beiden Jahren deutlich verschlechtert haben“, erklärte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Freitag nach einem Treffen mit dem Ditib-Vorsitzenden Yilmaz Kilic und dessen Schura-Kollegen Recep Bilgen.
Damit bezog sich der Regierungschef auf die schwindende Unterstützung für das seit Jahren betriebene Projekt und die wachsende Kritik vor allem am Moschee-Verband Ditib. Diesem wird eine fehlende Unabhängigkeit zum türkischen Staat vorgeworfen. Seine Imame gerieten nach dem Putschversuch vor einem halben Jahr in den Verdacht, hierzulande regimekritische Mitglieder auszuspionieren.
Nachdem am Mittwoch deswegen auch die FDP-Fraktion ihre Beteiligung an den Verhandlungen endgültig aufgekündigt hatte, zog die Staatskanzlei die Reißleine: Ein für die nächste Woche geplantes Treffen mit Kilic und Bilgen wurde eilig vorgezogen. Die CDU hatte sich bereits im vergangenen August einer Zusammenarbeit entzogen. Aber selbst bei SPD und Grünen mehrten sich skeptische Stimmen. Weil hatte immer wieder betont, dass er einen breiten Konsens im Parlament und in der Gesellschaft anstrebe.
Veranstaltungen abgesagt
Auch alle geplanten öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, auf denen die Regierung eigentlich die Vorbehalte gegen das Paragrafenwerk ausräumen wollte, wurden abgesagt. Man wolle vermeiden, „dass dieses wichtige Thema zum Gegenstand einer Wahlkampfauseinandersetzung wird“, meinte der Ministerpräsident. Beide Seiten gingen aber davon aus, dass in der nächsten Legislaturperiode die Gespräche über eine Vereinbarung wieder aufgenommen würden. In der Zwischenzeit werde man aber die vielfältigen und guten Kontakte zu den Verbänden fortsetzen und intensivieren, betonte der Ministerpräsident. „Die Landesregierung hält die Muslime unverändert für einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft.“
Knackpunkte für neue Verhandlungen über einen echten Vertrag seien neben einer eindeutigen Klärung der Unabhängigkeit von der Türkei durch Ditib auch eine Art Nachweis über die Zahl der Mitglieder in den Verbänden etwa durch Listen, ergänzte Regierungssprecherin Anke Pörksen. Das stellt möglicherweise die Schura vor Probleme, da anders als bei den christlichen Religionen im Islam keine klassischen Mitglieder geführt werden. Der niedersächsische Ditib-Verband gilt als liberal; sein Vorsitzender Kilic hat immer wieder versichert, weder von der türkischen Regierung noch von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet beeinflusst zu sein. Laut Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über Spitzeleien in Niedersachsen vor.
Birkner: Überstürzter Ausstieg
Bislang gibt es Muslim-Verträge nur in Hamburg und Bremen. Noch im vergangenen Frühsommer schien es auch in Niedersachsen so weit zu sein, der Entwurf war eigentlich unterschriftsreif. Dieser sah Regelungen zu muslimischen Feiertagen, zum islamischen Religionsunterricht, zur Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie zum Bestattungswesen und Moscheebau vor. Die CDU befürchtete dann aber muslimische Gebetsräume an den Schulen; die FDP zweifelte die Legitimation der Verbände an, wirklich für die rund 300.000 Muslime in Niedersachsen zu sprechen.
Jetzt fühlte sich die CDU bestätigt. Als „folgerichtig, aber viel zu spät“ bezeichnete Fraktionschef Björn Thümler das Aussetzen der Gespräche. Die dafür als Gründe angeführten Fakten seien lange bekannt. „Die Landesregierung hat die Verbände über Monate unnötig hingehalten.“ Der FDP-Fraktionsvize Stefan Birkner sprach von einem „überstürzten Ausstieg als Folge dilettantischer Verhandlungen“. Falsch sei das Aus für die Veranstaltungen, denn man brauche gerade jetzt einen offenen, kritischen Dialog.
Unverständnis zeigte Thümler für die Entscheidung, auch die Gespräche mit den Aleviten auszusetzen. Diese erfüllten alle Voraussetzungen für den Abschluss einer Vereinbarung. „Sie für die Probleme mit den anderen Verbänden in Mithaftung zu nehmen, ist schlicht unfair.“ Regierungssprecherin Pörksen rechtfertigte dagegen das Vorgehen damit, dass man nicht die Verbände gegeneinander ausspielen und daher den Vertrag mit allen gleichzeitig schließen wolle.
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