
Winsen. Der Landkreis Harburg hat jahrelang Verwarn- und Bußgelder gegen Temposünder nur aufgrund von Heckaufnahmen der kontrollierten Fahrzeuge verhängt. Üblich sind Frontaufnahmen, auf denen die Person hinter dem Steuer zu erkennen ist. An der Rechtmäßigkeit des Heckblitzens sind Zweifel aufgekommen. Der Harburger Landrat hat schon Rückzahlungen angekündigt. Doch die ertappten Raser haben sich offenbar zu früh gefreut.
Temposünder kennen das: Zu schnell gefahren, es hat geblitzt, drei Wochen später kommt der Brief von der Verkehrsbehörde - inklusive Schnappschuss vom Fahrer oder der Fahrerin. Anders im Landkreis Harburg. Dort blitzten die Landkreismitarbeiter die Autos mit ihrer mobilen Radaranlage nicht von vorn, sondern von hinten. Ist das Verfahren eigentlich rechtmäßig?, fragten sich jetzt einige Temposünder. "Ja", sagt Dirk Hallmann, Sprecher des Innenministeriums in Hannover, "wenn der Fahrer auch ohne Frontfoto eindeutig ermittelt werden kann."
In einem Erlass hat Niedersachsen den Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten genau geregelt. Danach sind Fahrzeuge von vorne zu fotografieren, sofern der Verkehrsraum, die Art des Einsatzes und die Konstruktion des Überwachungsgerätes es zulassen. Nach Ansicht des Landkreises Harburg lässt der Erlass Spielraum für Interpretationen. "Ich habe den Text dreimal gelesen, und ich frage mich immer noch: Wie meinen die das?", sagt Georg Krümpelmann, Sprecher des Landkreises Harburg: "Dürfen wir nun, oder dürfen wir nicht?"Seit mehr als einer Woche warte der Landkreis in Winsen auf eine schriftliche Antwort aus Hannover.
Mündlich hatte das Ministerium nach Angaben von Krümpelmann schon vor Tagen mitgeteilt: "Bei Geschwindigkeitskontrollen müssen die Autofahrer von vorn fotografiert werden." Landrat Joachim Bordt (FDP) hat sofort reagiert und das seit drei Jahren praktizierte Heckblitzen gestoppt. Und nicht nur das. Er kündigte auch an, dass alle Verwarn- und Bußgelder der vergangenen drei Jahre, die allein auf dem Heckblitzen beruhen, vom Landkreis zurückgezahlt werden. Voraussetzung: Das Land teile ihm schriftlich mit, dass es die bisherige Rechtsauffassung der Straßenbehörde in Winsen für falsch hält, wonach allein Heckaufnahmen als Nachweis für ein Verwarn- oder Bußgeld ausreichen.
Im Innenministerium versteht man die Aufregung nicht so recht. Die Kommunen seien zwar angehalten, bei Geschwindigkeitskontrollen nach Möglichkeit von vorn zu blitzen, doch die Heckmesssung sei auch rechtmäßig, sagt Ministeriumssprecher Dirk Hallmann. Wenn ein Auto von hinten geblitzt werde, liege allerdings nur ein sogenannter Teilbeweis vor. "Das Foto und die Messung beweisen nur, dass ein bestimmtes Auto an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zu schnell gefahren ist. Es gibt aber keinen Hinweis auf
die Person, die am Steuer gesessen hat." Und da nicht einfach der Fahrzeughalter für die Tempoüberschreitung verantwortlich gemacht werden könne, müsse die Verkehrsbehörde weitere Nachforschungen anstellen, um den Fahrer oder die Fahrerin zu ermitteln. Gelinge ihr das, sei das Verwarn- oder Bußgeldverfahren auch mit Heckaufnahme rechtmäßig, so Hallmann.
Er räumt den Autofahrern wenig Chancen auf Rückzahlung der Verwarn- oder Bußgelder ein. Wenn der Fahrer eindeutig ermittelt werden konnte und das Verwarn- oder Bußgeld gezahlt wurde, seien die Verfahren rechtmäßig abgeschlossen. Ab einem Bußgeld von 250 Euro sei zudem die Staatsanwaltschaft zuständig. Dort müsse der Autofahrer die Wiederaufnahme des Bußgeldverfahrens beantragen - wenn es denn eine neue Beweislage gebe.
Die Höhe der vom Landkreis Harburg in den vergangenen drei Jahren kassierten Verwarn- und Bußgelder beziffert Kreissprecher Krümpelmann auf mehrere Hunderttausend Euro. Einige Tausend Autofahrer seien betroffen. Die ersten hätten sich schon gemeldet. "Wir haben um Geduld gebeten." Erst müsse die Antwort aus Hannover da sein, und dann müsse noch grundsätzlich geklärt werden, ob der Kreis die Gelder überhaupt zurückzahlen darf. "Und womöglich muss auch noch der Kreistag eingeschaltet werden", sagt Krümpelmann, "das kann dauern."
Allemal freuen können sich die Autofahrer, die in den vergangenen zwei, drei Wochen im Landkreis Harburg geblitzt wurden. Landrat Bordt habe angeordnet, diese "Neufälle" nicht weiter zu verfolgen, sagt Krümpelmann.
In den Landkreisen der Region brauchen die Autofahrer offenbar nicht zu befürchten, hinterrücks geblitzt zu werden. "Unsere Technik gibt das gar nicht her", sagt Thorsten Klabunde vom Kreis Osterholz. Und auch in den Kreisen Diepholz und Verden werden nur Frontfotos gemacht, teilen die zuständigen Fachdienstleiter mit. Allenfalls Motorradfahrer müssen damit rechnen, von hinten geblitzt zu werden, schließlich haben sie vorne an ihren Maschinen kein Nummernschild. "Das macht dann aber die Polizei", sagt Wolfgang Geneé vom Landkreis Verden, "die blitzt und hält den Motorradfahrer auch gleich an, wenn er zu schnell unterwegs war."
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