
Wie haben die Menschen auf dem Land vor der Industrialisierung gelebt? Das Museumsdorf in Cloppenburg macht diese Vergangenheit begehbar. Höfe, Alltagsgegenstände und Arbeitsgeräte wecken seit mehr als 90 Jahren die Erinnerungen der Besucher. Die werden immer jünger und stellen Museumsleiter Uwe Meiners und sein Team vor ganz neue Herausforderungen.
Wenn Meiners von den Pflügen spricht, die zwischen zwei der haushohen Dampflokomobile hin und her gezogen wurden, wird schnell klar, was er meint. „Die Furchen waren so tief, wie Menschen groß sind.“An der Wand verdeutlicht ein Modell die Dimensionen. So wurden dem Moor Äcker abgetrotzt. Meiners erzählt von den Folgen für die Landwirtschaft, spricht vom ökologischen Bewusstsein. „Das alles ist wichtig“, sagt er. Es geht ihm nicht nur um die Ausstellungsstücke. „Wir müssen den Kontext mit thematisieren.“
Joyce Munchel ist eine von ihnen. Sie ist aus Indiana in den Vereinigen Staaten von Amerika angereist, um die Heimat ihres Großvaters zu besuchen. „Er kam in den 20er-Jahren in die USA.“ Mit 20 Dollar in der Tasche habe der Sohn eines Bauern aus der Nähe von Cloppenburg sein Glück als Landwirt gesucht. Heute ist die US-Amerikanerin überwältigt, dass sie sein Leben von damals so hautnah erleben kann.
Besucher wie Joyce Munchel, die die Ausstellungsstücke mit Erzählungen aus ihren eigenen Leben füllen können, werden allerdings immer seltener. Diese Lücke wollen Meiners und sein Team mit sogenannten biografischen Erzählungen schließen. Konkret: Schauspieler schlüpfen in die Rolle von historischen Personen und erzählen Besuchern aus ihrem Leben. „Es geht aber nicht nur darum, Leute vor ein Spinnrad zu setzen“, sagt Meiners. „Wir sind mehr als ein Freizeitpark. Wir wollen auch vermitteln, warum die Leute so viel spinnen mussten.“ Mit satirischen Führungen des Bremer Schauspielers Pago Balke hat das Museum schon erste Gehversuche unternommen. „Anfangs war ich skeptisch, aber die Führungen sind ausgebucht. In diese Richtung wollen wir uns weiterentwickeln.“ Pläne dafür liegen schon in Meiners’ Schublade, warten auf die nächste Förderperiode.
„Der Giebel ragt vier Mal vor, das war damals schon eine Ansage.“ Meiners steht im Eingangsbereich der Hofanlage Wehlburg und erklärt, warum das Haus mit jedem Stockwerk ein bischen weiter nach vorn gebaut wurde. Der Bauherr hat mit der aufwendigen Bauweise seinen Nachbarn übertrumpft. „Der wollte nach oben und hat es auch geschafft.“ Meiners ist tief drin in der Geschichte und ihrem Kontext, so könnte es aussehen, das biografische Erzählen. Und drinnen am Klavier, sagt Meiners, könnte jemand spielen und den Leuten erklären, warum sich Bauern um 1820 so ein Instrument ins Wohnzimmer gestellt haben. „Das waren nämlich moderne Leute.“Jüngere Besucher sind schon jetzt eine besondere Zielgruppe des Museums. „Viele kommen mit Klassenfahrten, das sind natürlich häufig verordnete Besuche“, sagt Meiners. Sein Team setzt darauf, dass die Schüler mehr mit dem Museum anfangen können, wenn sie im Dorf selbst etwas erleben. „Brotbacken oder Kochen über offenem Feuer – das bleibt hängen.“
Im üppigen Garten hinter dem Hof Wehlburg steht Angela Ewald-Michel. Sie ist aus Münster angereist, um das Grab ihrer Eltern zu besuchen. „Da dachten wir, wir machen einen Spaziergang durchs Museumsdorf.“ Wie sie es früher oft gemacht hat. Ihre eigenen Erlebnisse sind dabei präsenter als die ländliche Geschichte: Sie ist als Pfarrerstochter rund um das Dorf aufgewachsen, verbindet vor allem mit dem Dorfkrug viele Geschichten. Ihr Vater feierte jedes Jahr seine Geburtstage dort. Und auch ihre Verlobung musste im Dorfkrug begangen werden, darauf bestand der Pfarrer. So kann sie auch funktionieren, die Erinnerung im Museumsdorf.
Dass im Museumsdorf jüngere Geschichte Thema wird, ist ganz im Sinne des Teams von Uwe Meiners. „Wir denken über eine Erweiterung nach.“ Die Umbruchzeiten der 60er- und 70er-Jahre, in denen Bankfilialen und Diskotheken auch auf dem Land Einzug gehalten haben, könnten dabei im Fokus stehen, sagt Meiners. Mehr will er aber nicht verraten. „Da sind wir noch nicht in der konkreten Planungsphase.“