
Das Training im Beisein einer Therapeutin war Bestandteil der beruflichen Wiedereingliederung des Beamten - nachdem er sich Anfang vergangenen Jahres versehentlich in die Schulter geschossen hatte. Kein Skandal - eher eine Tragödie, meint Dietmar Schilff, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen.
"Tagtäglich hantieren 18.000 Kollegen der Polizeidirektion Hannover mit der Waffe", sagt Schilff. "Das ist kein strukturelles oder organisatorisches Problem. Hier geht es um die Handhabung - das ist, ganz klar, ein Einzelfall." Immerhin einer, der sich wiederholt hat. Die Umstände, unter denen sich die Unglücksfälle in Wunstorf (Region Hannover) ereignet haben, waren jedenfalls nahezu die gleichen: Beide Male löste sich der Schuss im Dienstzimmer des Beamten, als er seine "Heckler & Koch P 2000" ins Schulterholster stecken wollte.
Im Januar 2010 hatte der Oberkommissar seine halbautomatische Waffe, die über keine Sicherung verfügt, aus dem Schrank genommen, sie durchgeladen und einstecken wollen, als der Schuss losging. Die polizeiliche Untersuchung habe ergeben, dass es sich um einen "Unglücksfall" gehandelt habe, sagt Markus Braun. Der Sprecher der Polizeidirektion Hannover geht von "falscher Waffenhandhabung" aus.
Bernhard Witthaut, der heutige Bundesvorsitzende der GdP und Vorgänger Dietmar Schilffs, hatte die P 2000 damals in höchsten Tönen gelobt: "Die Kollegen sagen, das ist die beste Waffe, die wir je hatten." Zu den Vorzügen des im Jahr 2003 eingeführten Modells zählten unterschiedlich große Handstücke, mit denen sich der Pistolengriff individuell anpassen lasse. Das Modell habe keinen Entspannhebel zur Sicherung, denn möglichst schnell schießen zu können, sei ja Sinn der niedersachsenweiten Neuanschaffung im Jahr 2003 gewesen. Witthauts Nachfolger Dietmar Schilff spricht nicht gerne darüber, wie die Dienstpistole der Polizei funktioniert. Schließlich werden Polizisten immer wieder, wie vor Kurzem in Braunschweig, ihrer Waffe ent-ledigt.
Um die schussbereite Pistole abzufeuern, muss lediglich der Abzugsdruckpunkt überwunden werden. Was die P 2000 betrifft, heißt das konkret: Wer den Abzug auslösen will, muss nach Herstellerangaben 32,5 Newton aufwenden. Der Widerstand entspricht der Kraft, die man braucht, um 3,25 Kilogramm zu heben - mit einem Zeigefinger. "Normalerweise tragen wir die Waffe so, dass die Patrone im Lauf ist", sagte Witthaut - durchgeladen also.
Auch im Fall des Oberkommissars in Wunstorf war die Waffe offenbar durchgeladen: In Anwesenheit seiner Traumatherapeutin sollte der Beamte den Vorfall aus dem vergangenen Jahr aufarbeiten, indem er abermals das sogenannte "Holstern" übte, das Einstecken der - ungeladenen - Pistole ins Schulterholster. Dazu habe er, teilt die Polizeidirektion Hannover mit, nach bisherigen Erkenntnissen dem Magazin seiner Dienstpistole die Munition entnommen. Allerdings muss sich noch eine Patrone im Lauf befunden haben.
Beim Holstern wurde das Neun-Millimeter-Projektil abgefeuert und traf den Beamten in den Oberkörper - aus ungeklärter Ursache, heißt es. Polizeisprecher Markus Braun erklärt den Prozess bis zu dem Moment, in dem es knallt, so: "Die Kugel gelangt beim Durchladen der Waffe aus dem Magazin über den Verschlussschlitten in den Lauf." Er stellt klar, dass die Ermittlungen in dem Fall bei der Kriminalpolizei lägen - einer anderen als der eigenen Dienststelle. Der Verletzte schwebe zwar nicht mehr in Lebensgefahr, sei aber weiter in ärztlicher Behandlung und deshalb noch nicht gehört worden.
Der Oberkommissar bekam seit April vergangenen Jahres als Teil seiner beruflichen Wiedereingliederung eine Traumatherapie, die ihn - auf eigenen Wunsch - auch dazu befähigen sollte, wieder eine Waffe zu tragen. Seit Dezember hatte er sich durch einen Schießtrainer der Polizei in die Handhabung der Waffe einführen lassen und bereits erste Schießübung absolviert.
Bis zum ersten Schuss, der den Oberkommissar am 12. Januar 2010 Jahr verletzte, hatte das niedersächsische Innenministerium "keine Unfälle" seit Einführung der Waffe registriert. Drei Tage später starb ein 56 Jahre alter Oberkommissar der Zentralen Polizeidirektion Hannover im Büro - beim Reinigen seiner P 2000. Auch er wurde von einer Kugel im Oberkörper getroffen. Das Innenministerium verteidigte die Polizeipistole gegen jeden Zweifel: "So umfänglich wie die P 2000 ist kaum je eine andere Waffe getestet worden. Sie erfüllt höchste Ansprüche."
Nach dem ersten Zwischenfall in Wunstorf, heißt es, habe der betroffene Beamte im Innendienst der Polizei gearbeitet, Schulwege überwacht, und er war bei Fahrradkontrollen eingesetzt. Dem Vernehmen nach wollte er seinen Dienst wie früher versehen und deshalb seine Dienstwaffe wiederhaben. Was passiert, wenn Polizisten nach Gewalterfahrungen - und sei es durch ihre eigene Pistole - keine Waffe mehr tragen wollen, weiß auch Gewerkschafter Dietmar Schilff nicht. "So was hat es noch nie gegeben, darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht", sagt der GdP-Chef.
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