Das Vorhaben könnte nun noch weitaus schwieriger werden. Denn in dem maroden Bergwerk sickert radioaktiv kontaminierte Brühe aus einer Einlagerungskammer. Vor der Kammer acht, in 750 Metern Tiefe, habe sich die Menge der aufgefangenen Lösung gegenüber der ersten Jahreshälfte von vier auf acht Liter täglich verdoppelt, meldete das BfS jetzt. Messungen zeigten zudem, dass die Konzentration an radioaktivem Cäsium - eine Art Leit-Index - im selben Zeitraum von 2400 auf etwa 4300 Becquerel pro Liter angestiegen ist. Der Wert liegt nun oberhalb der Freigrenze in der Strahlenschutzverordnung.
Atommüll vermischt mit Wasser
Die Lösung läuft wahrscheinlich aus dem Deckgebirge in das Bergwerk und nimmt auf ihrem Weg durch die Kammer acht radioaktive Stoffe auf. Es gebe "zunehmend deutliche Hinweise, dass zum ersten Mal Zutrittswässer von außen den Weg in eine Einlagerungskammer gefunden haben", bestätigt BfS-Sprecher Werner Nording. In der Kammer acht lagern der Behörde zufolge 11278 Fässer mit schwach radioaktiven Abfällen. In welchem Zustand sie sind, ist bislang nicht bekannt. Die radioaktive Lauge vor der Kammer deutet aber darauf hin, dass zumindest ein Teil der Fässer zerstört ist und sich Atommüll mit Wasser vermischt hat.
Die Verantwortung dafür, dass erstmals Zutrittswässer direkt in eine Einlagerungskammer fließen, trägt nach Ansicht des BfS der frühere Betreiber. Das Helmholtz-Zentrum München habe 2008 die benachbarte Kammer neun, in der kein Atommüll lagert, mit Beton vollgepumpt. "Weil Kammer neun betoniert war, konnte hier das Zutrittswasser nicht mehr durchfließen und hat sich seinen Weg über die Kammer acht gesucht", sagt Nording.
Bürgerinitiativen und Politiker sehen aufgrund der Vorfälle das bisherige Bergungskonzept gefährdet. Die um das Doppelte erhöhte Menge an kontaminierter Lösung sei zwar an sich noch kein großes Problem, sagt Udo Dettmann, einer der Sprecher des Asse-II-Koordinantionskreises. Das BfS müsse seine Planungen aber zügig den neuen Gegebenheiten anpassen. "Wahrscheinlich befindet sich in den Kammern ein Konglomerat aus Fässern, Atommüll und Flüssigkeit", so Dettmann. "Konkret heißt das: Statt - wie geplant - mit Greifern, muss man das Zeug womöglich mit dem Frontlader herausholen."
Auch für den Chef der Grünen-Landtagsfraktion, Stefan Wenzel, ist offensichtlich, "dass die Laugen in den Kammern Kontakt mit dem Müll haben müssen". Der Zustand der Kammern und der eingelagerten Fässer müsse so rach wie möglich untersucht werden. Die FDP sieht das Bundesamt ebenfalls unter Handlungsdruck. Bei der Bergung der radioaktiven Abfälle aus der Asse müssten sich die Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz darauf einrichten, aus durchfeuchteten Kammern kaputte Fässer herauszuholen, sagt der Landtagsabgeordnete Björn Försterling. Das BfS müsse zudem prüfen, ob es mehr Wissenschaftler und mehr Personal brauche, um mit der Situation umzugehen.
Die Landtags-SPD beantragte gestern eine Sondersitzung des Umweltausschusses für kommenden Montag. Fraktionsvize Detlef Tanke wertet den zunehmenden Laugenzutritt in die Asse als Beleg, dass Salz als Wirtsgestein für Atommülllager ungeeignet ist. "Wir bekräftigen unsere Forderung, die Erkundungen im Salzstock Gorleben sofort einzustellen und eine alternative Suche in anderen Wirtsgesteinen unverzüglich zu starten", sagte Tanke. Auch die Linksfraktion im niedersächsischen Landtag zeigte sich nach der Einschätzung des BfS skeptisch. Außerdem will die Arbeitsgruppe zur erhöhten Krebsrate in der Umgebung der Asse morgen neue Ergebnisse vorlegen.
Nach Einschätzung des Betreibers wird der Anstieg radioaktiver Flüssigkeit im Bergwerk die Arbeiten zum Herausholen der Fässer allerdings nicht noch weiter erschweren. "Wir müssen das Bergungskonzept nicht ändern, weil wir bislang schon vom schlimmsten Fall ausgegangen sind", sagte Behördensprecher Nording. Für die Probephase der Bergung hat das BfS insgsamt drei Jahre veranschlagt. Anfang 2011 soll eine erste Einlagerungskammer angebohrt werden. Davon erhoffen sich die Fachleute Aufschluss, wie es um den Zustand der radioaktiven Fässer wirklich bestellt ist.
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