
Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) geht davon aus, dass im Jahr 2050 mehr Menschen an Infektionen sterben könnten als an Tumoren, jedenfalls dann, wenn Antibiotika weiter wie bisher an Wirkung verlieren sollten.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums liegt der Anteil der Keime, die gegen das Medikament resistent sind, bei 18 Prozent (2015). Fünf Jahre zuvor war sogar jedes vierte Bakterium resistent. Aber auch 18 Prozent seien noch zu viel, meint die Gesundheitsministerin. Umso wichtiger sei es, den Antibiotika-Verbrauch noch weiter zu reduzieren.
Abgegebene Menge an Antibiotika zurückgegangen
Davon ausgehend, dass der massenhafte Einsatz des Medikaments in der Nutztierhaltung Ursache für die Entwicklung von Resistenzen ist, muss der Einsatz von Antibiotika im Stall inzwischen gemeldet werden. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums ist die an Tierärzte abgegebene Menge an Antibiotika allein von 2014 auf 2015 um 37 Prozent zurückgegangen.
So sank die Therapiehäufigkeit bei Schweinen, Ferkeln und Kälbern in der Mast um mehr als 50 Prozent, bei Puten um 45 und bei Hühnern um 32 Prozent. Das sei eine positive Entwicklung, aber kein Grund die Bemühungen einzustellen, so Rundt.
Internetplattform soll Landwirten helfen
„Wir müssen der wachsenden Gefahr resistenter Keime noch stärker begegnen“, meint auch Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne). Unter anderem soll die neue Internetplattform „Aniplus“ den Landwirten helfen, die Haltungsbedingungen in den Ställen so zu verbessern, dass weniger Antibiotika nötig sind.
„Gesunde Tiere brauchen keine Antibiotika“, sagt denn auch der Vorsitzende des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland, der ehemalige Agrarminister Uwe Bartels (SPD).
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bestätigt, dass der Antibiotika-Verbrauch in der Tiermedizin im vergangenen Jahr bundesweit um 433 Tonnen (35 Prozent) zurückgegangen ist.
Antibiotika-Verbrauch in Niedersachsen gesunken
In Niedersachsen ging der Wert nach Angaben des Ministeriums um 37 Prozent zurück. Die Abgabemengen für Antibiotika mit besonderer Bedeutung für den Menschen seien hingegen nicht wie noch Anfang 2016 gemeldet, gestiegen, sondern leicht gesunken. Das Amt begründet die Korrektur damit, dass eine Firma falsche Angaben gemacht hatte.
Die Initiative „Ärzte gegen Massentierhaltung“ sieht in den fehlerhaften Angaben einen Verstoß gegen die Arzneimittelverordnung und fordert ein Verbot des Einsatzes von Reserve-Antibiotika in der Tiermedizin. Dabei geht es um die neueren Wirkstoffe, die in der Humanmedizin von besonderer Bedeutung sind, weil sich dagegen noch nicht so viele Resistenzen entwickelt haben. Reserve-Antibiotika helfen also auch dann noch, wenn herkömmliche Präparate nicht mehr anschlagen.
Unterdessen schlägt auch das Umweltministerium wegen der zunehmenden Belastung von Fließgewässern in Niedersachsen Alarm. Medikamenten-Rückstände belasteten inzwischen 30 Prozent der Flüsse in Niedersachsen, nur 16 Prozent gelten als gering belastet.
Medikamenten-Rückstände belasten Flüsse
„Antibiotika, Rheumamittel und andere Arzneimittel gehören nicht in unsere Flüsse“, betont Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne). Dieser Aspekt, so Wenzel, müsse künftig bei der Zulassung von Medikamenten stärker berücksichtigt werden. „Wir müssen an der Quelle ansetzen.“ Man dürfe das Problem nicht auf die Trinkwasserversorger abwälzen, die das verunreinigte Wasser dann aufwendig aufbereiten müssen.
Wegen der zunehmenden Belastung der Gewässer fordert das Umweltbundesamt denn auch einen Schwellenwert für Arzneimittel im Grundwasser. In einer Studie hatte das Amt nachgewiesen, dass die Antibiotika-Rückstände vor allem aus der Landwirtschaft stammen.
Bei der Hälfte der untersuchten Grundwassermessstellen habe sich gezeigt, dass Antibiotika aus dem Stall mit der Gülle auf die Felder gelangen und von dort ins Grundwasser durchsickern. Das Amt fordert die Landwirte zur Kooperation auf.
Viehstarke Regionen sind häufiger betroffen
Auch der niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hatte das Grundwasser auf Antibiotika untersucht. In jeder siebten von 157 Messstellen wurden Rückstände gefunden. „Viehstarke Regionen sind häufiger betroffen“, konstatiert denn auch Stephan-Robert Heinrich vom NLWKN. Umweltminister Wenzel appelliert denn auch an die Tierärzte, Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn es unbedingt erforderlich ist.
Im Sinne des One-Health-Gedanken arbeiten die zuständigen niedersächsischen Ministerien in der Antibiotika-Minimierung eng zusammen. Die Daten aus dem Human-, Veterinär- und Umweltbereich werden inzwischen aufeinander abgestimmt, um beispielsweise das Übertragungsrisiko von Keimen zwischen Mensch und Tier zu erfassen.
In einem Projekt der Europäischen Union werden die Erkenntnisse gemeinsam mit den Niederlanden analysiert, um die Verschleppung der Keime zum Beispiel durch eine verbesserte Krankenhaushygiene einzudämmen.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Antibiotika-Verbrauch pro Kilogramm Nutztierfleisch im Mittelfeld. Dies geht aus einem Report der europäischen Arzneimittelbehörde von 2014 hervor. Demnach wurden hierzulande 150 Milligramm Medikamente pro Kilogramm Fleisch eingesetzt. Den geringsten Arzneimittelverbrauch im Stall hatten die Norweger (3,1 Milligramm pro Kilogramm), den höchsten die Spanier (418 Milligramm pro Kilogramm).