
Wilstedt. In einer bundesweit einmaligen Studie untersucht die Universität Halle im Landkreis Rotenburg, welche Auswirkungen die Geräusche von Windkraftanlagen auf die Gesundheit von Anwohnern haben. Ziel ist es, wissenschaftlich belastbare Fakten zu ermitteln und Empfehlungen zu erarbeiten, wie die Umwelt von diesen Emissionen entlastet werden kann. Das Pilotprojekt hat eine Bürgerinitiative den Betreibern der Windkraftanlage in einem Vergleich abgerungen.
Mehr als 200 Einwohner der Gemeinde Wilstedt im Landkreis Rotenburg haben sich jetzt im Dienst der Wisssenschaft befragen lassen – es geht um ihr Befinden. Die Universität Halle untersucht am Beispiel des Wildstedter Windkraftparkes, wie sich die Geräusche von Windrädern auf die Gesundheit von Menschen in der Nachbarschaft auswirken. Schallmessungen und ergänzende Fragebogenaktionen sollen in den nächsten Monaten folgen. Im Sommer wollen die Wissenschaftler ein erstes Zwischenergebnis vorlegen. Die Untersuchung ist auf zwei Jahre angelegt.
"Pfsch – Pfsch – Pfsch – immer wenn der Flügel am Mast vorbeisaust, gibt es dieses Geräusch", sagt Betram Tauerschmidt. Der 65-Jährige wohnt eineinhalb Kilometer entfernt vom Windpark Wilstedt, dessen Rotoren 150 Meter hoch in den Himmel ragen. Wenn der Wind richtig steht und entsprechend bläst, holt ihn das "Pfsch – Pfsch – Pfsch" regelmäßig aus dem Schlaf. "Ich kriege Atemprobleme und Herzrasen", klagt der Rentner.
Tauerschmidt hat jahrelang in einer Bürgerinitiative Widerstand gegen den Windpark im Wilstedter Moor geleistet. Wobei ihm eines wichtig ist: "Ich bin nicht gegen Windkraftanlagen, wir brauchen erneuerbare Energien. Doch die Anlagen müssen so aufgestellt werden, dass sie die Nachbarn nicht stören." Ihm würde es schon ausreichen, wenn die Windräder zwischen 22 und 6 Uhr abgeschaltet würden. "Dann hätte ich wenigstens meine Nachtruhe." Tagsüber könne er sich mit den Geräuschen abfinden, sagt Tauerschmidt.
Studie als Kompromiss
Doch noch drehen sich die neun Windräder – wenn der Wind weht – Tag und Nacht. Und so passiere es mindestens zehn bis zwanzigmal im Jahr, dass er von den Geräuschen der Windräder wach werde, sagt Tauerschmidt. "Wenn die Fenster offenstehen, kriege ich kein Auge zu und ich bekomme gesundheitliche Probleme." Er habe wegen dieser Belastung sogar schon an Wegzug gedacht. "Aber meine Frau und ich sind hier verwurzelt, im Heimatverein, im Sportverein, unseren Freundeskreis haben wir in Wilstedt, da zieht man doch nicht weg."
Einer seiner Mitstreiter aus der Bürgerinitiative, der 61-jährige Rolf Struckmeyer, hat längst Kosequenzen gezogen: "Ich habe mein Schlafzimmer ins Erdgeschoss verlegt, da hört man die Geräusche nicht." Auch er macht jetzt wie Tauerschmidt bei der Studie mit.
Die Bürgerinitiative hat die Lärmuntersuchung in einem Vergleichsverfahren mit dem Windpark-Betreiber WPD aus Bremen ausgehandelt. Zuvor hatte sie auf eine Klage des Naturschutzbundes (Nabu) vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg gesetzt, doch das Verfahren habe sich hingezogen und letztlich seien der Klage nur geringe Erfolgschancen eingeräumt worden, sagt Struckmeyer.
Die Gesundheitsstudie wird vom Institut für Psychologie der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg erarbeitet. Es befasst sich seit mehr als zwölf Jahren mit Akzeptanzfragen bei erneuerbaren Energien. "Unsere Arbeitsgemeinschaft Gesundheits- und Umweltpsychologie ist zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie reagieren Menschen auf den Schattenwurf der Rotorblätter und die Warnblinklichter, die ab einer bestimmten Anlagenhöhe für die Flugsicherung vorgeschrieben sind", sagt Johannes Pohl, Diplom-Psychologe und wissenschaftlicher Projektmitarbeiter bei der Untersuchung.
Das Besondere an der jetzigen Studie ist nach Angaben von Pohl die Kombination aus Befragung und Schallmessung. Dazu werden in den nächsten Tagen mehrere Aufnahmegeräte an die Studienteilnehmer verteilt. "Damit wollen wir zum Beispiel feststellen, ob es ganz bestimmte Lärmmuster gibt", sagt Pohl. Sie können durch Windstärke, Windrichtung, vom Niederschlag, von der Lufttemperatur und durch technische Dinge beeinflusst werden. Es gebe zwar Richtlinien für die Intensität der Geräusche, aber nicht für die Qualität, also die Geräuschmuster. "Ein tropfender Wasserhahn ist nicht laut", sagt Pohl, "trotzdem wird er als störend empfunden."
Bertram Tauerschmidt hat zum Beispiel beobachtet: "Immer, wenn die Rotorblätter an unseren Anlagen wie im Takt gleichzeitig am Mast vorbeirauschen, wird der Geräuschpegel enorm verstärkt." Das wäre eine solche Erkenntnis, sagt Pohl, darauf könne der Betreiber dann reagieren und durch technische Maßnahmen diesen störenden Gleichklang verhindern.
Auch gesundheitliche Vorbelastungen der Studienteilnehmer sollen in die Untersuchung einfließen. Wer unter Stress leide, der empfinde die Geräusche womöglich intensiver als jemand, der gesundheitlich unbelastet ist, sagt Pohl.
Ziel der Untersuchung sei es, die Auswirkungen auf die Anwohner modellhaft zu analysieren und anschließend Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, mit denen die Umwelt von diesen Emmissionen entlastet werden könne. Nach seinen Angaben handelt es sich um ein in Deutschland einmaliges Pilotprojekt. Es wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, dem Deutsche Windenergie-Insitut (Dewi) und dem Windpark-Betreiber WPD unterstützt.