
Wegen starker Nachfrage wird die Präventionsstelle gegen islamistische Radikalisierung in Niedersachsen ausgebaut. Ein zusätzlicher Berater solle eingestellt und die Präventionsarbeit an Schulen ausgedehnt werden, sagte Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) am Dienstag. Im ersten Jahr ihres Bestehens hat die Beratungsstelle in 74 Fällen drohender Radikalisierung junger Menschen Hilfe geboten. Vor allem Eltern suchten Unterstützung. In den ersten Monaten dieses Jahres steigerte sich die Nachfrage um rund 30 Prozent, auch weil etliche Fälle radikalisierungsgefährdeter junger Flüchtlinge gemeldet wurden.
Die Mehrzahl der betroffenen jungen Leute seien 18 bis 24 Jahre alt, die Altersspanne reiche von 13 bis 28 Jahren. 74 Prozent seien Männer, 26 Prozent Frauen, sagte der Leiter der Beratungsstelle, Christian Hantel. Zunächst habe etwa die Hälfte der Betroffenen aus einem muslimischen und die übrigen aus einem nicht-muslimischen Elternhaus gestammt. Wegen des wachsenden Anteils junger Flüchtlinge mit Radikalisierungstendenzen machten Betroffene mit muslimischem Hintergrund inzwischen Zwei Drittel der Beratungsfälle aus. Ein Auslöser von Radikalisierung sei Propaganda im Internet.
"Die Religion spielt keine tatsächliche Rolle bei der Radikalisierung", betonte Hantel. Vielmehr habe auch in muslimischen Familien die Religion oft keine große Bedeutung mehr und die jungen Menschen litten unter "religiösem Analphabetismus". Deshalb könnten die Salafisten auch junge Muslime erfolgreich mit ihren radikalen Sichtweisen erreichen. Ursache für eine Radikalisierung könnten Misserfolge in Schule oder Ausbildung sein oder - gerade bei jungen Mädchen - eine unglückliche Liebe. "Wir versuchen die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu stärken", sagte Hantel zur Beratungsstrategie. Binnen zwei Tagen würden Angehörige nach einer ersten Kontaktaufnahme von Beratern vor Ort aufgesucht.
Die Moscheegemeinden hätten meist keinen Blick auf die Salafisten, weil diese sich dort nicht aufhielten, meinte die stellvertretende Landesvorsitzende der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), Emine Oguz. "Die sehen uns nicht als richtige Ansprechpartner." Mit dem Landesverband der Muslime (Schura) ist die Ditib an der Beratungsstelle beteiligt.
Die muslimische Gemeinschaft habe dennoch eine wichtige Rolle bei der Resozialisierung der auf die radikale Bahn geratenen jungen Leute, sagte Oguz. "Die Rolle der muslimischen Community ist, den Menschen einen Rückhalt zu geben und sich nicht zu verschließen." Rundt und Oguz betonten außerdem die Bedeutung des islamischen Religionsunterrichts an Schulen. Junge Menschen erhielten dadurch ein Grundwissen zum Islam und ließen sich weniger leicht beeinflussen.
Zahl der Islamisten in Niedersachsen steigend
Die Zahl der radikal-islamischen Salafisten in Niedersachsen steigt seit längerem und liegt derzeit bei rund 520. Der Großteil wird dem politischen und nicht dem gewaltbereiten Salafismus zugerechnet.
Der Salafismus ist in Niedersachsen ein flächendeckendes Phänomen, als örtliche Schwerpunkte haben sich die größeren Städte und insbesondere Hannover, Wolfsburg/Braunschweig sowie Hildesheim/Göttingen herausgebildet. Salafistische Anlaufpunkte können aber in ganz Niedersachsen festgestellt werden.
Mehr als 75 Islamisten aus Niedersachsen sind nach Erkenntnis der Behörden in Richtung Syrien und Irak ausgereist, etwa 25 von ihnen sind zwischenzeitlich zurückgekehrt. Die Zahl der mutmaßlich in Syrien oder dem Irak ums Leben gekommenen Islamisten aus Niedersachsen liegt im niedrigen zweistelligen Bereich. (dpa)