
Termine für erste Spatenstiche gibt es noch nicht; die für spätestens 2030 vorgesehene Inbetriebnahme ist höchst ungewiss. Dafür steht aber längst fest, dass die Autobahn-Neubauten A 39 von Lüneburg nach Wolfsburg und die A 33 von Belm bis zur A 1 nördlich von Osnabrück deutlich teurer werden als ursprünglich prognostiziert. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis der beiden Projekte ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken: von 2,1 auf 1,8 bei der A 39 sowie von 3,8 auf 2,4 bei der A 33. Das ergibt sich aus zwei aktuellen Sachstandsberichten des Bundesverkehrsministeriums, die der grüne Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kinder aus Hannover angefordert hat.
Danach laufen zwar für vier der sieben Abschnitte der A 39 die Planfeststellungsverfahren seit mehreren Jahren; die anderen drei befinden sich in der Vorbereitung. Aber: „Eine Einschätzung zur Dauer der Verfahren ist insbesondere vor dem Hintergrund möglicher Klagen konkret nicht möglich“, räumt das Ressort von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ein. „Vollziehbares Baurecht liegt derzeit nicht vor“, heißt es in der Auskunft, die dem WESER-KURIER vorliegt.
Den aktuell genehmigten Kostenstand für die insgesamt 106 Kilometer beziffert das Ministerium auf 1,352 Milliarden Euro. Als das Projekt 2016 in den neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aufgenommen wurde, betrug diese Summe noch 1,083 Milliarden Euro. 13 Jahre früher waren es sogar nur 437 Millionen Euro – allerdings mit einem anderen, um rund 20 Kilometer kürzeren Streckenverlauf. Trotz der Preisexplosion und der damit verbundenen Absenkung der Nutzen-Kosten-Relation stellt das Scheuer-Ressort den Sinn der Autobahn nicht in Frage: „Damit ist das Projekt wirtschaftlich.“
Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) ist von den großen Vorteilen der Neubaustrecke von seinem früheren Heimatort zum VW-Standort sowie der Nordumgehung Osnabrücks überzeugt. „Die Autobahn-Projekte A 39 und A 33 tragen dazu bei, den Logistik- und Wirtschaftsstandort Niedersachsen leistungsfähiger und attraktiver zu machen“, betont der Ressortchef im Gespräch mit dem WESER-KURIER. „Auch die Menschen vor Ort profitieren von einer besseren Verkehrsanbindung: Die Erreichbarkeit von Kommunen wird deutlich verbessert – gleichzeitig nimmt die Belastung in den Gemeinden durch den Durchgangsverkehr ab.“ Mit dem Bau der A 39 werde zudem eine wichtige, zusätzliche Nord-Süd-Verbindung im norddeutschen Fernstraßennetz geschaffen und die stark frequentierte A7 entlastet.
Grünen-Parlamentarier Kindler und seine Fraktionskollegin Julia Verlinden aus Lüneburg fordern dagegen den sofortigen Stopp der Planungen. „Von Anfang an wurden die Kosten künstlich niedrig und der verkehrliche Nutzen hochgerechnet.“ Kein einziges Verkehrsproblem werde durch dieses „sinnlose Prestigeprojekt“ gelöst. „Das Geld, das hier verpulvert wird, fehlt für dringend benötigte Investitionen in ein besseres Schienennetz, sicherere Radwege und saubere Busse in Niedersachsen.“ Außerdem sei die A 39 klimaschädlich und gefährde die Artenvielfalt: „Der Neubau zerstört eine intakte Kulturlandschaft, wertvollen Wald und würde ein europäisches FFH-Naturschutzgebiet durchschneiden“, kritisieren Kindler und Verlinden. „Wir dürfen unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht dem Straßenbauwahnsinn opfern.“
Laut Auskunft des Bundesministeriums soll die A 39 nach Inbetriebnahme fast 98 Millionen Autokilometer jährlich generieren. Bis zu 64.000 Autos und 9470 Lastwagen täglich erwartet das Verkehrsressort auf den einzelnen Abschnitten. Im Projektinformationssystem des BVWP ist der CO2-Ausstoß pro Jahr mit 75.000 Tonnen angegeben. 375 Hektar Fläche sollen für den Bau versiegelt werden.
Die Kosten für den 9,5 Kilometer langen Lückenschluss der A 33 beziffert das Bundesministerium mittlerweile auf 142,3 Millionen Euro. Im 2016 erstellten BVWP waren es noch 87 Millionen Euro. Vollziehbares Baurecht liegt auch hier nicht vor. „Aussagen zur Realisierung und damit zur Verkehrsfreigabe“ seien daher nicht möglich, schreibt das Scheuer-Ressort. Den täglichen Verkehr prognostiziert es auf 35.500 Pkw und 4800 Lastwagen. Den zusätzlichen CO-2-Ausstoß gibt das Ministerium mit 7343 Tonnen jährlich an.
„Eine A 33 Nord würde für noch mehr Verkehr in der Region Osnabrück sorgen“, befürchtet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat aus Bramsche. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Kinder fordert sie daher das Aus des Projekts. „Würden die tatsächlichen Kosten und die Folgen für Umwelt- und Klimaschutz zugrunde gelegt, würde es kaum noch einen Spatenstich für neue Autobahnen geben.“
Landesverkehrsminister Althusmann drückt trotz der vagen Zeitangaben aus Berlin und des ab Januar erfolgten Zuständigkeitswechsels vom Land auf die Autobahn GmbH des Bundes aufs Tempo: „Das Land Niedersachsen erhofft sich weiterhin einen möglichst schnellen Baubeginn.“ Der ursprüngliche niedersächsische Zeitplan sei bei zwei Abschnitten der A 39 von einem Baustart ab 2022 und bei der A 33 ab 2023/24 ausgegangen, erklärt das Ministerium in Hannover. Bei einer drei- bis vierjährigen Bauzeit hätten die ersten Fahrzeuge von Wolfsburg aus ab 2026 und rund um Osnabrück ab 2027/28 rollen können.