
Viel Zeit zum Erholen von seiner ausgelassenen Siegesfeier mit Bier, Pizza und Rockmusik in einer umfunktionierten Werkhalle blieb Hannovers künftigem Oberbürgermeister Belit Onay nicht. Der bisherige Grünen-Landtagsabgeordnete hatte am Sonntag bei der Stichwahl um den Chefposten im Neuen Rathaus seinen von der CDU aufgestellten Mitbewerber, den ehemaligen VW-Manager Eckhard Scholz, mit 52,9 zu 47,1 Prozent geschlagen. Am nächsten Morgen widmete sich der gebürtige Goslarer mit türkischen Wurzeln zwar noch wie üblich dem ihm wichtigen Familienfrühstück mit seiner Frau Derya und seinem anderthalbjährigen Sohn und brachte den Kleinen anschließend zur Krippe.
Dann aber startete ein Marathon mit ersten politischen Gesprächen und Interviews. Und natürlich galt es für den 38-jährigen Diplomjuristen, seinen Terminkalender völlig neu zu sortieren. Am nächsten Wochenende darf sich Onay auf dem Bundesparteitag der Grünen in Bielefeld als neuer Star und Hoffnungsträger der Öko-Partei bejubeln lassen. In der Woche drauf folgt der Abschied vom niedersächsischen Parlament, dem er seit 2013 angehörte und wo er sich nicht zuletzt im Kampf gegen das rot-schwarze Polizeigesetz den Ruf als kritischer, aber stets sorgfältiger und besonnener Innenpolitiker erwarb.
Zum Ende der nächsten Woche könnte er bereits die Amtsgeschäfte in der bisher von SPD-Oberbürgermeistern geprägten Landeshauptstadt übernehmen. Für den 28. November ist die feierliche Vereidigung mit der Übergabe der güldenen Amtskette geplant. „Ich weiß gar nicht, was das Ding so wiegt“, sagte der Sohn aus einer Einwandererfamilie ein wenig bang, als sich sein Erfolg bei der Auszählung der 469 Wahlbezirke bereits abzeichnete.
Wissbegierig hörte er sich denn auch die Antwort an: 1,7 Kilogramm waren es noch zu Zeiten der Monarchie, heute sind es in der um ein Kaiser-Porträt abgespeckten Version nur noch 980 Gramm. Das passt zum künftigen Träger. „Seit dem Sommer habe ich vier Kilo abgenommen“, berichtete der 1,91 Meter große Grüne lächelnd über die Anspannung im OB-Wahlkampf.
Jetzt steht Onay als erster deutscher Großstadt-OB mit Migrationshintergrund vor deutlich größeren Herausforderungen. „Ich möchte Bürgermeister für alle sein“, hatte er direkt nach Bekanntgabe des Endergebnisses versprochen. Im Straßenwahlkampf hatte das künftige Stadtoberhaupt viele geäußerte Vorbehalte wegen seiner Herkunft schnell ausräumen können. Zusammenhalt vorleben und bewirken, das traut man ihm jenseits von Parteigrenzen auch zu.
Seine Pläne, aus der City bis zum Jahr 2030 alle Autos zu verbannen, dürften da deutlich mehr Zündstoff bergen. Belit Onay ist sich allerdings der Konfliktlinien bewusst und deutet schon mal vorsorglich seine Kompromissbereitschaft an.
Im Stadtrat ist er trotz des bisher von der FDP gestützten rot-grünen Bündnisses auf die Zusammenarbeit mit allen Fraktionen angewiesen. Als früherer Ratsherr kennt er aber die Befindlichkeiten. Der oft als schläfrig kritisierten Verwaltung bietet sich Onay als Team-Spieler an, will so das Machtvakuum unter seinem gescheiterten SPD-Vorgänger Stefan Schostok beenden. Er werde sofort mit allen Dezernenten und dem Personalrat sprechen, kündigte er an. „Ich will in meiner Einarbeitungszeit alles aufsaugen und alle mitnehmen.“