
Felix Kolb: Unser Anliegen ist es, Menschen dazu zu bringen, sich politisch zu engagieren. Wir gehen davon aus, dass uns deshalb die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass Attac nicht als gemeinnützig gelten kann, weil die Organisation versucht, die politische Meinung zu beeinflussen. Dieses Urteil dürfte auch uns treffen, glauben unsere Anwälte.
Sie sagen, es wäre Betrug, wenn Sie Ihren Unterstützern die Einschätzung der Anwälte verschwiegen hätten.Es wäre unehrlich gewesen, jetzt weiter um Spenden zu bitten, als wäre nichts gewesen. Die Leute würden weiterhin im Glauben spenden, dass sie diese steuerlich absetzen können. Wenn wir bald keine gemeinnützige Organisation mehr sind, wäre das aber nicht mehr möglich.
Sie haben angeboten, das gespendete Geld zu erstatten. Ist Campact damit bald Geschichte?Nein, wir werden überleben. Uns finanzieren vor allem Menschen, die uns kleine Beiträge schicken. Im vergangenen Jahr hatten wir 150 000 Spender. Viele von ihnen liegen bei einer Summe von 20 Euro. Diese Menschen machen das nicht, weil sie ihre Spenden von der Steuer absetzen möchten, sondern weil sie unsere Arbeit unterstützen wollen.
Sie müssen also gar kein Geld erstatten?Ein paar Dutzend Spender wollen bislang ihr Geld zurück. Beim Großteil sieht das anders aus. Uns haben Hunderte Schreiben von Menschen erreicht, die uns jetzt erst recht unterstützen wollen.
Als Trotzreaktion?Kurzfristig wird die Solidarität wachsen, die Spenden dürften steigen. Langfristig werden wir wohl darunter leiden, dass große Spenden noch seltener werden.
Wie unmittelbar würde es Campact treffen, nicht mehr als gemeinnützig zu gelten?Wir müssten allein für die vergangenen vier Jahre etwa 100 000 Euro Schenkungssteuer nachzahlen. Zeitungsanzeigen oder Veranstaltungsräume haben wir bislang billiger bekommen. Das wäre vorbei.
Haben Sie überlegt, Campact zu verändern, um gemeinnützig zu bleiben?Unsere Steuerberater haben das vorgeschlagen. Aber was wäre das für eine Alternative? Wir müssten Sachkundeunterricht machen. Dann stünden Sätze in unseren Mails wie: Die einen meinen, es gibt keinen Klimawandel. Die anderen finden schon. Was richtig ist, soll jeder selbst wissen. Das ist doch keine Option. Wir sind keine Sachkundelehrer. Wir wollen Menschen überzeugen, dass die Klimakrise eine reale Gefahr ist, gegen die man angehen muss. Darin sehen wir unsere Aufgabe.
Der BFH sieht das offenbar anders.Der Bundesfinanzhof will das Rad der Geschichte zurückdrehen auf die obrigkeitsstaatliche Zeit der 1950er- und 1960er-Jahre. Das ist hochgradig problematisch. Die politische Diskussion darf nicht nur von den Parteien geführt werden.
Befürchten Sie einen Domino-Effekt?Ich bezweifele, dass nun eine Organisation nach der anderen vom Urteil betroffen sein wird. Nur wenige Vereine bearbeiten so viele Themen wie Attac oder wir. Ein Umweltverein kann sich nach wie vor zu ökologischen Fragen äußern. Er könnte aber Probleme mit dem Gemeinnützigkeitsrecht bekommen, wenn er zu einer anti-rassistischen Demonstration aufruft. Das ist vollkommen absurd.
Droht das Steuerrecht zu einem Mittel zu werden, um Organisationen loszuwerden?Das Steuerrecht aus politischen Gründen einzusetzen, um einzelne Organisationen mundtot zu machen, ist skandalös. Wir beobachten, wie weltweit Regeln verschärft werden, um den Spielraum von Nichtregierungsorganisationen einzuschränken. Dass dieser Trend nun durch das Gemeinnützigkeitsrecht auch hier ankommt, ist höchst gefährlich. Bald könnten Machthaber wie Wladimir Putin zu Deutschland sagen: Naja, ich verhalte mich nicht anders als ihr. Ihr schränkt auch Organisationen ein, wenn sie politisch unbequem werden.
Was bedeutet das fürs politische Klima?Das Attac-Urteil ist Gift für eine Demokratie. Die Wirtschaftslobby wird ihre Arbeit weiterhin von der Steuer absetzen können, die kritische Zivilgesellschaft nicht. Es gibt schon jetzt mehr Industrielobbyisten als Organisationen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Wenn man ihnen das Leben schwerer macht, wird sich das Ungleichgewicht verstärken. Das mündet in einer Politik, die Wirtschaftsinteressen über die Meinung der Bürger setzt. Das würde einen Rattenschwanz an Frust nach sich ziehen.
Brauchtumsvereine rund um den Karneval gelten weiterhin als gemeinnützig. Hätten Sie Ihre Mails mit „Alaaf“ beenden und auf Protesten Kamelle werfen müssen und alles wäre gut gewesen?Vielleicht. Wir müssen unsere Demonstrationen künftig wohl auf die Fastnachtszeit beschränken.
Im Ernst: Ist das Attac-Urteil nicht ein gerichtlich verordneter Rückzug ins Private?Der BFH sendet ein falsches Signal: Politisches Engagement hat in Parteien stattzufinden, denn nur dann wird es steuerlich gefördert. Das ist ein fatales Zeichen in einer Zeit des Rechtsrucks, in der alle davon profitieren würden, wenn sich möglichst viele Menschen politisch einbringen.
Was würde Campact jetzt helfen?Die Bundesregierung muss das Gesetz ändern. Sie muss sicherstellen, dass auch Vereine, die an der politischen Willensbildung beteiligt sind, gemeinnützig sein können. Ein Karnevalsverein wollen wir jedenfalls nicht werden.
Das Gespräch führte Nico Schnurr.Felix Kolb (45) ist promovierter Politikwissenschaftler, Mitbegründer und Vorstand von Campact in Verden. Die Nichtregierungsorganisation erreicht nach eigenen Angaben zwei Millionen Menschen mit ihren Inhalten. Bekannt wurde die Bürgerbewegung vor allem durch ihre Online-Petitionen.