
Es gab da diesen Moment im Leben von Ulrich Hennicke. Den Moment, in dem er beschloss, Messer zu machen. Noch heute bekomme er Gänsehaut, wenn er daran denke, sagt er. Damals betrat der gelernte Heizungsbauer Hennicke den Mainzer Künstlermarkt. Dort gab es auch eine Ausstellung für Messer. Sofort habe er gewusst: Das ist es.
23 Jahre sind seitdem vergangen. Heute steht Hennicke in seiner eigenen Schmiede in Asendorf, einer 3000-Seelen-Gemeinde zwischen Nienburg und Bruchhausen-Vilsen. 2006 hat der 56-Jährige ein altes Bauernhaus gekauft und den ehemaligen Schweinestall zu seiner Schmiede umgebaut. Direkte Nachbarn hat Hennicke hier keine. Das ist auch besser so, denn die Arbeit eines Messerschmieds ist laut und dreckig. In die Schmiede fällt nur wenig Tageslicht, auf Werkzeugen und Arbeitsgeräten liegt eine dicke Schicht Ruß und Eisen. Noch läuft das Radio leise im Hintergrund, während Hennicke und sein Mitarbeiter Sören Sander einen Kaffee trinken und die Gas-Esse – eine Art Schmiedeofen – vorheizt. Gleich werden hier die Rohlinge für Messer der Hohenmoorer Messermanufaktur entstehen.
Hennicke hat es geschafft. Heute ist er nicht nur Messerschmied, sondern führt sein eigenes Unternehmen und stellt seine eigenen Messerserien her. Alles an Hennickes Messern ist handgearbeitet – vom Holzgriff bis zur Klinge. Das teuerste Messer ist ein großes Gemüsemesser aus 240 Lagen Volldamast, also unterschiedlichen Stahlsorten. Dessen Herstellung dauert etwa zwei Tage; Hennicke verkauft es für 1780 Euro pro Stück. In der Klinge kann man sehen, wie der unterschiedlich farbige Stahl miteinander verschmiedet wurde. Wie Rauch kringelt sich das Muster über die Messer – bei jedem Exemplar ein bisschen anders. Die Damast-Serie bezeichnet Hennicke als Krönung der Schöpfung. Seine Messer hat Hennicke nach seiner Frau Yvonne benannt: Yvo.
An diesem Tag sind Hennicke und sein Mitarbeiter Sören Sander dabei, Messer aus Dreilagenstahl zu schmieden. Hennicke dreht die Stahl-Würfel im Feuer und reibt sie regelmäßig ganz sanft mit einem speziellen Salz ein, das Oxidation verhindern soll. Ein bisschen erinnert diese Szene an einen Bäcker, der nach seinen Plätzchen schaut. Geheimzutat: Liebe.
Im Laufe des Tages wird aus diesem Stahlwürfel ein Messer werden. In unzähligen Arbeitsschritten wird der Stahl mit dem Hammer geplättet, wie Nudelteig durch eine Walze gedreht, mit der Flex in die richtige Form gebracht, mit Schleifpapier und -steinen geschärft – und immer wieder im Ofen gehärtet.
In der Schmiede werden Funken und Ruß durch den Raum fliegen und die Luft nach Wunderkerzen riechen. Das Ergebnis wird das Yvo2 sein: ein Universalmesser mit 24 Zentimetern Klingenlänge, für 499 Euro. Hennicke sagt, er sei der Einzige in Deutschland, der seine Messer noch ganz und gar per Hand herstellt. Klar, auch die voll-automatisierte Herstellung hätte ihre Berechtigung, sagt er. Nur gelangen Maschinen irgendwann an ihre Grenzen. Um zu vermeiden, dass die Klinge breche, werde sie häufig etwas dicker gelassen. Hennicke kann seine Klinge so dünn schmieden, wie es nur geht. Er sagt, maschinell hergestellte Messer seien sehr gut. „Wir machen auch sehr gute Messer. Und dann machen wir sie noch besser.“
Seit 2012 gibt es die Hohenmoorer Messermanufaktur. Mit dem Messermachen verdient Hennicke aber schon viel länger seinen Lebensunterhalt. Früher hat Hennicke vor allem Einzelstücke hergestellt, sein Traum war es aber immer, eigene Serien zu schmieden und davon leben zu können. Mit seiner Manufaktur hat er sich diesen Traum erfüllt.
Viel ist passiert, seitdem Hennicke klar wurde, dass er Messer machen möchte. Das Handwerk lernte er bei hilfsbereiten Kunstschmieden, ging dafür sogar ein paar Monate nach London und arbeitete nach Feierabend in fremden Schmieden an seinen Messern, bis sie so gut waren, dass er sie verkaufen konnte. Fein säuberlich drapiert liegt das Portfolio der Hohenmoorer Messermanufaktur an diesem Tag auf einem Tisch. Die Quintessenz von Hennickes Lebenswerk. Jetzt, da es daran nichts mehr zu verbessern gibt, hat Hennicke ein neues Projekt begonnen: Er modelliert Porträts aus Ton. Einige fertige Köpfe stehen bereits in seinem Büro. Hennicke ist mit ihnen noch nicht ganz zufrieden. Er will weiter üben, bis sie perfekt sind.