
Verdaut hat die SPD in Hannover ihre historische Niederlage vom Sonntag noch nicht. Die Protagonisten sind abgetaucht; das sozialdemokratische Leben steht in seiner Herzkammer erst einmal still. Von der Internetseite des Stadtverbandes lächelt noch immer der gescheiterte Oberbürgermeister-Kandidat Marc Hansmann. Wie Hohn wirkt seine Botschaft daneben. „Hannover. Besser. Machen“, steht dort in großen Lettern. Vorbei. Jetzt bleibt den Genossen nur noch die Entscheidung, ob und für wen sie zur Stichwahl in zwei Wochen eine Empfehlung aussprechen. Die SPD ist lediglich Zuschauer; zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, also seit über 73 Jahren, wird sie in ihrer Hochburg nicht mehr das Stadtoberhaupt stellen.
Das Rennen um den Chefposten im Rathaus machen am 10. November der grüne Landtagsabgeordnete Belit Onay (38) und der von der CDU aufgestellte, aber parteilose Ex-VW-Manager Eckhard Scholz unter sich aus. Beide lieferten sich am Sonntag ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen, holten am Ende jeweils 32,2 Prozent. Hansmann landete mit 23,5 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.
Während sich die beiden Gewinner nach ihren Siegesfeiern längst für die Stichwahl rüsten, bemühen sich die Sozialdemokraten derweil um Erklärversuche für ihr Desaster. Wie konnte dies passieren in jener Stadt, in der einst Kurt Schumacher die durch die Nationalsozialisten zerstörte Partei wieder aufgerichtet hatte? In der SPD-Dauerbürgermeister Herbert Schmalstieg mit 35-jähriger Amtszeit bundesweiten Kultstatus erlangte? In der die steile Karriere von Altkanzler Gerhard Schröder begann?
An den Themen im OB-Wahlkampf kann es kaum gelegen haben: Verkehrswende, bezahlbarer Wohnraum oder Sicherheit im öffentlichen Raum standen bei allen drei Kandidaten, wenn auch mit Nuancen, ganz oben auf der Agenda. Vom sozialdemokratischen Promi-Glanz vergangener Tage ist in Hannover schon lange nichts mehr zu spüren, vielmehr macht seit Jahren das böse Wort vom „Genossenfilz“ die Runde.
Was früher ein oft unbewiesener Vorwurf blieb, nahm allerdings vor einem Jahr konkrete Formen an. Die Affäre um illegale Zulagen für Rathausmitarbeiter, insbesondere für den Büroleiter des damaligen Oberbürgermeisters Stefan Schostok, kochte hoch. Als im April die Staatsanwaltschaft Anklage gegen das Stadtoberhaupt wegen Untreue erhob, trat dieser zurück und machte den Weg für die Neuwahlen am Sonntag frei.
Schon vorher allerdings war der Sozialpädagoge, wie schon als SPD-Fraktionschef im Landtag, durch Führungsschwäche und einsame Personalentscheidungen aufgefallen. Bei den Bürgern verdichtete sich der Eindruck, Schostok sei nicht wegen seiner Fähigkeiten, sondern lediglich als loyaler Parteisoldat ins OB-Amt gehievt worden. Was nach dem Wechsel von Schmalstieg auf den damaligen Kämmerer und heutigen Ministerpräsidenten Stephan Weil wegen dessen unbestrittener Qualitäten noch reibungslos funktionierte, klappte nach der Staffelübergabe auf Schostok nicht mehr. Ob Baustellen-Ärger oder lange Wartezeiten in den Ämtern – alles, was fortan in Hannover schief lief, lasteten die Einwohner der SPD-Führung im Rathaus an.
Die Quittung dafür, und sicher auch für den bundespolitischen Gegenwind der SPD, bezahlt nun Stadtwerke-Chef Hansmann. Allerdings wirkt dadurch auch Landeschef Weil angeschlagen. „Das ist ein bitterer Abend für die Hannoversche SPD und auch für mich persönlich“, gesteht der Ministerpräsident bedrückt ein. Von der Landespolitik spricht er wohlweislich nicht, von den Auswirkungen auf die in drei Jahren stattfindende Landtagswahl erst recht nicht. Weil weiß nur zu genau, dass seine Wiederwahl 2022 alles andere als sicher ist. Schon am Sonnabend hatte sein Landesverband einen Dämpfer eingefahren, als Innenminister Boris Pistorius zusammen mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping in der SPD-Mitgliederbefragung lediglich den vorletzten Platz erreichte.
Kein Wunder, dass die Konkurrenz kräftig Morgenluft wittert. Nach dem Sieg bei der Landratswahl in Osnabrück und dem überragenden Ergebnis jetzt in Hannover nehmen die Grünen höhere Ziele ins Visier. Und auch Niedersachsens CDU-Generalsekretär Kai Seefried, der eigentlich mit den Genossen in einer Großen Koalition innig verbunden sein sollte, schwärmt ungeniert von „Rückenwind für die kommenden Wahlen“ und bezieht dabei die Landtagswahl in drei Jahren ausdrücklich ein. Das Regieren wird für den Ministerpräsidenten und seine Genossen deutlich schwieriger.