
Nach dem Auffliegen eines V-Manns in Göttingens linker Szene wächst der Druck auf Niedersachsens Verfassungsschutz-Präsidentin Maren Brandenburger und damit auf ihren Dienstherrn, Innenminister Boris Pistorius (SPD). Mehr oder weniger offen diskutierten Abgeordnete der rot-schwarzen Koalitionsfraktionen auf den Fluren des Landtags, ob und wie lange sich die Behördenleiterin noch im Amt halten könne.
„Das ist für uns alles nicht schön“, stöhnte ein Sozialdemokrat. Die CDU sprach hinter vorgehaltener Hand von einem „Systemversagen“, für das Brandenburger als Chefin die Verantwortung trage. FDP-Chef Stefan Birkner bekräftigte seine Forderung nach Rücktritt der Präsidentin. „Wir brauchen ein sichtbares Zeichen an der Spitze des Amtes.“ Mit kleinen verborgenen Reformen im Inneren des Geheimdienstes könne man das verlorene Vertrauen nicht mehr zurückgewinnen.
Am Dienstag hatte eine linke Gruppierung auf ihrer Internetseite einen 24-jährigen Studenten mit Namen, Foto und Privatadressen als Spitzel des Verfassungsschutzes geoutet. Hinweise auf den Mann fanden sich ausgerechnet in versehentlich nicht geschwärzten Unterlagen des Geheimdienstes, die dieser dem Verwaltungsgericht Hannover in einem Prozess übermittelt hatte. Schon am Sonntagabend hatte der Göttinger nach Informationen des WESER-KURIER telefonisch seinen Führungsbeamten alarmiert, dass er enttarnt worden sei.
Linke Aktivisten hätten ihn regelrecht verhört und sich dabei auch auf Interna des Verfassungsschutzes berufen. Wann Brandenburger und Pistorius von diesem erschreckenden Vorgang erfuhren, ist noch unklar. Bisher verlautete von der Regierung, dass das Innenministerium erst am Dienstag über die Identifizierung des V-Manns informiert worden sei. Der Dienst habe die Angaben des Studenten zunächst prüfen müssen, hieß es. Dabei aber traten offenbar überhaupt erst die folgenschweren Versäumnisse, die zu der peinlichen Panne des Verfassungsschutzes geführt hatten, zutage.
Ausgangspunkt war eines der in diesem Jahr bereits 406 gestellten Auskunftsbegehren an den Verfassungsschutz. Die Behörde führt über die von ihm beobachteten Personen Sachakten. Daraus wiederum wird elektronisch eine so genannte Verfahrensakte erstellt – mit Vermerken, welche brisanten Geheiminformationen geschwärzt oder ganz entfernt werden sollen. In den ausgedruckten Kopien für die Gerichte muss dies dann auch so erfolgen. Für zwei von einem Szenemitglied angestrengte Prozesse vor dem Göttinger Verwaltungsgericht hatte die zuständige Juristin die Passage mit Hinweisen auf den V-Mann noch vorschriftsmäßig rausgenommen, dies dann später aber für ein drittes Verfahren in Hannover wohl vergessen.
Ihr Vorgesetzter hatte offenbar auf eine genaue Kontrolle nach dem Vier-Augen-Prinzip verzichtet. Ebenfalls peinlich: Von den ans Verwaltungsgericht Hannover geschickten Unterlagen blieb kein Doppel beim Verfassungsschutz. Dessen Beamte konnten also nicht die Angaben des 24-Jährigen über seine Enttarnung auf die Schnelle prüfen, sondern mussten sich die Akten erst wieder vom Gericht zurückschicken lassen. Ob in anderen Fällen weitere Fehler passiert sind, kann man ebenfalls nur höchst umständlich klären. Inzwischen soll die Behörde diese Schwachstellen ausgebessert haben. Seiten mit Sperrvermerk aus Verfahrensakten können demnach nicht mehr ausgedruckt werden. Und ein Doppel der verschickten Unterlagen soll künftig immer im Verfassungsschutz verbleiben.
Eine unglückliche Kette von persönlichen Fehlern, von der die SPD spricht? Oder doch ein „Systemversagen“ der gesamten Behörde, wie es die CDU sieht? Von dieser Frage dürfte das weitere Schicksal der Präsidentin abhängen. Brandenburger kam 2013 kurz nach Start der rot-grünen Regierung ins Amt, zog dort immer wieder den Zorn der damals oppositionellen CDU auf sich. In den Verhandlungen über die Große Koalition vor einem Jahr konnte sich die Union mit ihrer Forderung nach einer Ablösung der ungeliebten Behördenleiterin gegenüber SPD-Innenminister Pistorius aber nicht durchsetzen. Jetzt halten sich die CDU-Abgeordneten aus Koalitionsräson mit allzu lauter Kritik an Brandenburger zurück – noch jedenfalls.