
Wenn er alles behalten könnte – Martin Viets könnte einiges erleben. Abhängen in einem hübschen Appartement auf der Atlantik-Insel Madeira, ein Ausritt auf der Farm in Wyoming oder eine Spritztour mit der Harley. Bis vor Kurzem gab es eine Jacht in Griechenland. Und dann waren da auch noch die zwei seltenen Papageien! Aber Martin Viets winkt ab. Was so gut klingt, ist in Wahrheit häufig mit ziemlich viel Ärger verbunden. Denn wenn der Staat erbt, gibt es dafür in den meisten Fällen gute Gründe.
Das Land Niedersachsen erbt immer öfter. Als Holger Holl und sein Kollege Martin Viets sich 2002 erstmals um die Materie kümmerten, landeten 40 bis 60 neue Akten im Jahr auf ihren Schreibtischen. Diese Zahl hat sich in 15 Jahren verdreißigfacht. In elf Fällen wurde das Land 2017 direkt von Erblassern bedacht. Doch dazu kamen 1953 Fälle, in denen sich Viets‘ Abteilung, die jetzt zum 2017 geschaffenen Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften gehört, um Staatserbschaften kümmern musste.
Die höhere Lebenserwartung führe immer häufiger dazu, dass Menschen bis ins hohe Alter in ihrem Haus wohnen. Würden sie dann zum Pflegefall, lasse sich der Pflegedienst oder Heimbetreiber eine Grundschuld auf das Gebäude eintragen, erklärt Viets. „In typischen Fällen wird ein Erbe ausgeschlagen, weil Immobilien mit hohen Grundschulden belegt sind“, sagt der ehemalige Polizist. Wenn Angehörige lange keinen Kontakt zum Verstorbenen hatten, fehle oft auch die Bereitschaft, sich posthum um dessen Angelegenheiten zu kümmern.
Land kann nicht ausschlagen
Das Land hingegen kann eine Erbschaft nicht ausschlagen. Es erbt immer dann, wenn Angehörige nicht ausfindig zu machen sind oder die Erbschaft ablehnen. 1740 solcher Grundstücke und Häuser hat das Land 2016 übernommen, 1268 waren im Bestand. Denn vieles, was das Land erbt, ist gelinde gesagt nicht im besten Zustand. „Wir müssen da sehr kreativ rangehen“, sagt Viets, dem sein Beruf noch immer ausgesprochen viel Spaß macht.
Und sie müssen regelmäßig Neuland betreten, denn es gilt, schwierige juristische Sachverhalte zu verhandeln. Viets sagt: „Rechtsanwälte staunen da oft, aber es gibt wenige Urteile zu dem Thema. Man muss sich eben einigen“. Da wäre aktuell das Appartement eines verstorbenen Niedersachsen auf Madeira. Weil der Mann dort seinen festen Wohnsitz hatte, würde es eigentlich der portugiesische Staat erben.
Der hat mit Post aus Lissabon in Hannover auch gleich seine Ansprüche erklärt. Andererseits erbt Niedersachsen, wo der Mann registriert war. „In Ländern wie Polen muss man in solchen Fragen naturgemäß sehr sensibel vorgehen“, erklärt der Liegenschaftsverwalter. Die geerbte halbe Farm in Wyoming dagegen war schnell Vergangenheit. Wegen offener Grundabgaben kam sie ruckzuck zur Zwangsversteigerung. „Das geht in den USA immer sehr schnell“, sagt Viets.
Seit 2012 war das Land auch Erbe einer damals 35 Jahre alten Motorjacht, die damals in Griechenland auf dem Trockenen lag. Wertbestimmung, Eigentumsrechte, die Sicherung vor Vandalismus kosteten ihn schlaflose Nächte. Nun ist der Verkauf vor Kurzem endlich geglückt.
Um die Kosten für das Land möglichst klein zu halten, versuchen die Mitarbeiter, möglichst wenig Sachverstand extern einzukaufen. Zu den mittlerweile 20 Verwaltern des Staatserbes gehören deshalb ehemalige Kommunalbeamte, Betriebswirte, Landesbeamte und Juristen. Einer kümmert sich beispielsweise nur um Unternehmen, die bisweilen auch ohne einen Eigentümer dastehen.
Land übernimmt eine Ordnungsfunktion
In vielen Fällen müssen Viets und seine Kollegen dann auch persönlich rausfahren, um das Erbe zu begutachten. „Dafür braucht man schon ein dickes Fell“, gibt der Staatsdiener zu. „Wir finden die Immobilien ja so vor, wie sie der Verstorbene hinterlassen hat. Dabei erfährt man sehr viel Persönliches.“ Papiere müssen gesichtet, Müll entsorgt, der Hausrat aufgelöst, das Gebäude gesichert werden.
Was von Wert sein könnte, wird über das Internet-Portal www.zoll-auktion.de zu Geld gemacht. Das Land übernimmt aber vor allem eine Ordnungsfunktion gegenüber all denen, die Ansprüche gegen den Verstorbenen anmelden möchten. Es tritt auch zivilrechtlich in alle Verpflichtungen ein – von der Grundsteuer bis zur Pflicht zum Schneeräumen auf dem Bordstein im Winter.
Selbst um Tiere müssen die Beamten sich immer wieder einmal kümmern. Im vergangenen Jahr fanden sie in einer Wohnung zwei seltene Papageien einer geschützten Art. Im Regelfall werden solche Tiere an Zoos abgegeben. Da bei einem Tier die Herkunft zunächst nicht geklärt werden konnte, kam es erst einmal in Obhut der niedersächsischen Vogelschutzwarte in Hannover.
30 Jahre lang kann Anspruch geltend gemacht werden
Mit Dienst nach Vorschrift lässt sich dieser Strauß möglicher Aufgaben nicht abwickeln. „Da kann man auch schon mal Fehler machen und eine halbe Million Euro Schaden verursachen“, gibt Viets zu. Eine offene Fehlerkultur gehört in der Abteilung deshalb zum Selbstverständnis, um Fehlentwicklungen möglichst schnell einzudämmen. Mit dieser Taktik konnte das Land 2017 immerhin insgesamt sechs Millionen Euro Gewinn aus den Staatserbschaften ver-buchen.
Wirklich sicher ist das Geld dem Staatssäckel indessen erst nach 30 Jahren. So lange nämlich können Erbberechtigte ihre Ansprüche geltend machen. „Und einen Erben gibt es immer. Es ist nur eine Frage des Aufwands und der Zeit, ihn zu ermitteln“, weiß Martin Viets. In Niedersachsen beispielsweise recherchieren sie im Regelfall bis zum zweiten oder dritten Verwandtschaftsgrad. Gibt es hingegen mehr zu holen, kommen häufig auch private Erbermittler ins Spiel, die auf eine angemessene Provision setzen.
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