
Dem Lob der drei Polizeipräsidenten für neue Befugnisse folgte die vernichtende Kritik der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten. Behördenchefin Barbara Thiel ließ am Donnerstag kein gutes Haar am neuen Polizeigesetz der SPD/CDU-Landesregierung. „Unter dem Deckmantel, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, beschneiden die vorgeschlagenen Regelungen die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger bis zur Unkenntlichkeit“, sagte Thiel bei der Anhörung der Novelle im Innenausschuss des Landtags. „Aus dem Gesetzentwurf wird nicht ansatzweise erkennbar, warum derartige Verschärfungen erforderlich sind.“
Die rot-schwarze Koalition will die Präventivhaft für terroristische Gefährder von derzeit zehn auf maximal 74 Tage ausdehnen. Der Entwurf sieht zudem den Einsatz von elektronischen Fußfesseln, Meldeauflagen, Kontaktverbote, Online-Durchsuchungen mittels Staats-Trojanern sowie die leichtere Überwachung von Telefonen und Wohnräumen vor. „Das sind unverzichtbare Instrumente für eine erfolgreiche Gefahrenabwehr“, erklärte Landespolizeipräsident Axel Brockmann nicht zuletzt mit Blick auf den Handel mit Kinderpornografie im Darknet. Die neuen und erweiterten Befugnisse seien im Kampf gegen den islamistischen Terror zwingend erforderlich. „In Niedersachsen besteht eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit konkretisieren kann.“ Dies zeige etwa der Fall des Messerangriffs der salafistischen Schülerin Safia S. auf einen Polizisten.
Brockmann, der die Arbeiten am Gesetzentwurf im Innenministerium fachlich begleitet hatte, verteidigte auch die Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams auf 74 Tage. Dabei handle es sich um eine Höchstfrist; über die tatsächliche Dauer sei in jedem Einzelfall und nur von einem Richter zu entscheiden. „Von Willkür kann keine Rede sein.“ Der Göttinger Polizeipräsident Uwe Lührig betonte, dass die bisherigen zehn Tage nicht ausreichten, um potenzielle Attentäter wirksam zu stoppen. „Die Ausweitung ist genau richtig.“ Seine Kollegen gingen mit der Präventivhaft äußerst verantwortungsbewusst um. Unkenrufe vom „Überwachungsstaat“ seien unberechtigt, meinte Friedo de Fries, der neue Chef des Landeskriminalamtes. Es gehe um den Schutz der Bevölkerung unter rechtlich klaren Vorgaben.
Die Innenpolitiker der Opposition, Belit Onay (Grüne) und Stefan Birkner (FDP), kritisierten dagegen, dass die 74 Tage das sachlich nicht begründete Ergebnis eines fragwürdigen Koalitionsdeals zwischen SPD-Innenminister Boris Pistorius seinem CDU-Vorgänger Uwe Schünemann sei. „Statt klarer Kriterien und präziser Formulierungen atmet das rot-schwarze Polizeigesetz Angst und Verdachtsmomente“, meinte Onay. Minister Pistorius müsse „den Berg kritischer Stellungnahmen ernst nehmen.
Datenschützerin Thiel, die selbst der CDU angehört, stößt sich insbesondere an der geplanten massiven Ausweitung der Video-Überwachung. Bislang sind Bildaufzeichnungen durch die Polizei nur an Orten erlaubt, an denen mit erheblichen Straftaten zu rechnen ist. Künftig soll das schon bei jedem beliebigen Delikt möglich sein. Eine bloße Bildaufzeichnung sei nicht zur Prävention geeignet, meinte Thiel. „Nur bei einer Echtzeitbeobachtung kann unmittelbar Hilfe organisiert und so eine Straftat verhindert werden.“ Auch Lena Lehmann vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen warnte vor überzogenen Erwartungen an die Kameras. „Das ist kein gewaltverhinderndes Mittel“, meinte die Wissenschaftlerin. Keine internationale Studie habe positive Präventionseffekte für öffentliche Plätze durch eine Videoüberwachung belegen können.
Den Einsatz von Bodycams bei Polizisten sehen Thiel und Lehmann ebenfalls kritisch. Polizeirechtsexperte Matthias Fischer von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Kassel nannte vor allem das in der Novelle vorgesehene sogenannte Prerecording verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Mit dieser Funktion zeichnet die Körperkamera kontinuierlich jeweils 30 Sekunden in einem gesonderten Speicher auf; diese Sequenzen werden immer wieder überschrieben. Aktiviert der Polizeibeamte seine Aufnahme, ist dies für sein Gegenüber sichtbar. Allerdings werden dann auch die 30 Sekunden Aufzeichnung vor der Aktivierung automatisch dauerhaft gespeichert. Das sei „eine nicht zu rechtfertigende verdeckte Videoüberwachung“, mahnte Fischer. Damit laufe der angestrebte Zweck, nämlich die Verhinderung von Angriffen auf die Beamten, ins Leere. „Die Bürger müssen wissen, dass die Kamera läuft. Wenn das heimlich passiert, kann das nicht funktionieren.“ Datenschützerin Thiel bemängelte die fehlenden Kontrollmöglichkeiten bei dieser Form der verdeckten Datenerhebung.
Polizeipräsident Lührig begrüßte dagegen ausdrücklich das Prerecording. Nur damit sei eine vorherige Eskalation einer Einsatzsituation nachweisbar. Der Modellversuch bei der Inspektion sei bei Beamten und Bevölkerung bestens angekommen. Auch die Staatsanwaltschaft habe das Projekt positiv begleitet.
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