
Sie sind wieder in der Luft, die „Drachen über Lemwerder“. Die Juli-Hitze scheint ebenso vergessen wie der verregnete Drachenfestsonntag vor einem Jahr, als der Himmel alle Schleusen öffnete, gerade als es wieder richtig los gehen sollte. Zum Auftakt der 27. Auflage des Festivals konnte das Wetter kaum besser sein, und so werden die Besucher seit Freitagabend mit einem bunten Spektakel am Himmel über dem Flugfeld an der Weser empfangen.
Kaum hatte das Drachenfest begonnen, ließen die größten Drachenfans ihre neuesten und bewährten Kreationen auch schon in den Himmel aufsteigen. Hier wogen sich schillernd-bunte Comicfiguren im Wind, dort vollführten imposante Lenkdrachen ihre Kapriolen. Am Rand der Drachenfestwiese flatterten die unterschiedlichsten Windspiele. Zahlreiche Kinder und Väter nutzen die Gelegenheit, um auf einer eigens abgesteckten Wiese in den Drachensport hineinzuschnuppern.
Zusammen mit Ralf Bielau ließ auch Drachenfan Manfred Kraft seine Eddys in den Himmel aufsteigen. Der 70-Jährige aus Ahlen hat dafür nicht nur einen der rautenförmigen Einleiner-Drachen nach Lemwerder mitgebracht, sondern über 100. Kraft hat die Drachen selbst gebaut und im Abstand von 1,20 Meter auf eine spezielle Schnur gereiht. Das Material: Blumenfolie in unterschiedlichen Farben. Die Spannweiten seiner bunten Rauten reichen von 37 Zentimeter an der Spitze der Kette bis neun Zentimeter an deren Ende. „Wenn sie von unten gucken, sehen sie alle gleich groß aus.“
Im Nu stieg seine Drachenkette in den Himmel. „Wenn ich die Kette heraushole, bleibt jeder Dritte stehen und spricht mich an“, lautet die Erfahrung des Rentners aus Westfalen von den Drachenfesten in Greetsiel, Norderstedt und auf der dänischen Insel Fanø. In ganzer Länge aufsteigen lassen könne er die Kette allerdings nicht. Die Gefahr, dass sie den anderen Drachen in die Quere käme sei zu groß. Die spezielle 1,2 Millimeter starke geflochtene Schnur würde die Leinen der anderen Drachen sofort durchschneiden.
Das Drachenfest in Lemwerder war immer schon mehr als bunte Flugobjekte am Himmel. Unter ihnen erstreckt sich eine große Spielwiese mit Bungee-Trampolin, Balancier- und Jonglierstationen, Kreativbaustellen, Labyrinth und Bastelzelt, Seifenblasenstation für die kleinen und einem Kletterfelsen für die mutigen Kinder, die hoch hinaus wollen. Eine Portion Spieltrieb genügt, um sich stundenlang zu beschäftigen, zu staunen und womöglich neue Fähigkeiten in sich zu entdecken.
Im Rahmenprogramm in zwei Zirkuszelten und unter freiem Himmel treten die jungen Artisten zweier Kinderzirkusgruppen am Sonntag noch einmal auf. Ab 14 Uhr steht „Raketen Erna“ mit frechen Songs für kleine Leute auf der Bühne. Die Global Music Player Allstars mit Musik aus Südamerika, Elementen aus Hip-Hop und Reggae, arabischer Saitenmusik sowie Liedern aus der Türkei und Georgien folgen eine Stunde später.
Mit Musik endete auch das Programm am Sonnabend. Denn nach der gelungenen Nachtflugshow mit fantasievollen Geschichten, einer Komposition aus Nebel, ausgefeilter Lichtshow und sattem Sound war noch lange nicht Schluss. Für Stadtfeststimmung bis weit in die Nacht sorgte die Band United Four. Deren Klassiker aus Pop und Rock, dazu Songs aus den aktuellen Charts, dargebracht mit vollem Stimm- und Körpereinsatz der Bandmitglieder im obligatorischen Kuh-Outfit, bot genau die richtige Mischung für das gut gelaunte Party-Volk von 16 bis weit über 60.
Beim Drachenfest gab es die Illusion, die britische Rockband Pink Floyd lasse seine Klassiker wie „Wish You Were Here“ oder auch „Another Brick in the Wall“ samt dem Lebensgefühl der 1970er-Jahre noch einmal live aufleben, am Freitagabend für umsonst. Dabei standen nicht Roger Waters und seine Bandkollegen von einst auf der Bühne, sondern der englische Gitarrist Mark Gillespie mit „Kings Of Floyd“. Sound, Show, Stimme: Der Auftritt der Tribute-Band bot dem Publikum eine Zeitreise durch die erfolgreichsten Jahre von Pink Floyd. „Hey You“, „Mother“, „Welcome to the Machine“, „Shine On You Crazy Diamond“: Es schien, als hätten die verspielten Rocksongs aus der Zeit, als die Tonträger noch lange Rillen hatten, auch für die vielen Zuhörer in Lemwerder zum Soundtrack ihrer Jugend gehört.
Dazu gab’s einen Vorgeschmack auf die Lichtshow am Sonnabend und Videoprojektionen im Hintergrund, die mal zur Musik passende psychedelische Farbspiele zeigten, oder wie zu „Dark Side of the Moon“ die – na ja – weniger ruhmvollen Stunden der heute (Trump, Erdogan) und ehemals Mächtigen der Welt (Reagan, Nixon, Thatcher, Jelzin, Bush Junior, Blatter). So oder so, das Publikum kannte nur diese Reaktion: Begeisterung, Applaus, Pfiffe, Jodeln. Das Drachenfest geht noch bis diesen Sonntag, 18 Uhr.
Davon mal ...