
Medikamentenversuche, Gewalt und mitunter sogar Hirnoperationen hat es nach einer neuen Studie in einem kirchlichen Heim während der Nachkriegszeit in Rotenburg gegeben. Nach dem am Dienstag vorgestellten Buch „Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission, 1945-1975“, wurden in der damaligen Behinderteneinrichtung noch nicht zugelassene Präparate getestet, etwa um Bettnässen zu verhindern oder aber den Sexualtrieb männlicher Bewohner zu unterdrücken.
Unruhige oder vermeintlich schwierige Kinder und Jugendliche wurden demnach mit Arzneimitteln ruhig gestellt. Die Studie der Autoren Karsten Wilke, Hans-Walter Schmuhl, Sylvia Wagner und Ulrike Winkler entstand im Auftrag der Einrichtung, die heute Rotenburger Werke heißt. Den Recherchen der Wissenschaftler zufolge haben Ärzte im Sommer 1972 in mindestens drei Fällen männliche Jugendliche am Gehirn operiert, weil sich diese trotz Medikamente auffällig verhielten.
„Jedoch führten diese Hirnoperationen in keinem Fall zum gewünschten Erfolg. Im Gegenteil. Es entstanden andere Problematiken, in einem Fall die Entwicklung einer starken sexuellen Aktivität“, sagte die Wissenschaftlerin Wagner. Der Betroffene sei letztlich in die Psychiatrie gebracht worden – wie andere vermeintlich schwierige Bewohner.
Nach Gesprächen mit früheren Bewohnerinnen und Bewohnern legt Schmuhl in dem Buch dar, wie Gewalt den Alltag auf manchen Stationen der Einrichtung prägte. Demnach folgten auf unliebsames Verhalten in den 1950er- und 1960er-Jahren mitunter körperliche Züchtigungen, etwa durch Schläge mit der Hand, dem Rohrstock oder einem Werkzeug. Manche mussten zur Strafe stundenlang bewegungslos in einer Ecke stehen, wurden ans Bett gefesselt oder eingesperrt. Elektroschocks und starke Beruhigungsmitteln seien die extremste Form der Ruhigstellung gewesen.
Die Rotenburger Werke sind nicht die einzige Einrichtung mit solch dunkler Vergangenheit. Nach der 2016 veröffentlichten Dissertation der Wissenschaftlerin Sylvia Wagner wurden auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wunstorf sowie im Heilpädagogischen Kinder- und Jugendheim Brunnenhof in Rehburg-Loccum Medizinversuche an Kindern und Jugendlichen vorgenommen. Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung lässt derzeit untersuchen, inwieweit es zwischen 1945 und 1976 Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Heimerziehung gab.
Die Ergebnisse werden 2019 erwartet, wie ein Sprecher sagte. Für das knapp 380 Seiten dicke Buch über die Vergangenheit der Rotenburger Einrichtung für Menschen mit Behinderung nutzten die Autoren das Archiv der Rotenburger Werke, das Archiv des Rotenburger Diakonissen-Mutterhauses, das Stadtarchiv sowie Archive der verschiedenen Pharma-Unternehmen.
Ich habe eben darüber nachgedacht, ob er oder Kohfeldt als der schlechteste ...